Von allen Türmen auf Sendung

My House Is Your House – Labels in Berlin (V): Benno Blomes Sender Records ist als erste Adresse für Clubtaugliches von Minimal bis Knarz nicht mehr aus dem Berliner Nachtleben wegzudenken. Heute feiert Sender seinen sechsten Geburtstag

VON TOBIAS RAPP

Es dürfte kein DDR-Gebäude in Berlin geben, das seit dem Mauerfall eine so gründliche Umdefinierung erfahren hat, wie der Fernsehturm vom Alexanderplatz – wer weiß, ob es ihm nicht ähnlich ergangen wäre wie dem Palast der Republik, hätten ihn nicht dutzende von Partyorganisatoren, Grafikdesignern, T-Shirtmachern und wer sich sonst noch mit der Nutzung von urbanen Symbolen beschäftigt und es für sich nutzbar gemacht. Da fällt es gar nicht auf, dass der kleine Turm im Logo des Berliner Technolabels Sender Records ein eigentlich viel zu ovales Restaurant in seiner Mitte hat – Techno aus Berlin, nennt sich Sender und hat einen Fernsehturm als Zeichen? Das kann nur der Fernsehturm am Alex sein.

Stimmt aber gar nicht, sagt Benno Blome, Macher von Sender. Als er sein Label 1999 gründete, lebte er noch in Köln und plante bloß, irgendwann nach Berlin zu gehen. Deswegen ist das Logo eine Mischung aus dem Kölner und dem Berliner Turm. Heute betreibt Blome Sender von einem Einzimmerbüro in Prenzlauer Berg aus. An der Wand hängt ein Veröffentlichungsplan der letzten Platten – acht sind es gewesen in diesem Jahr, zuletzt „Transmitter“ von Blome selbst. In Regalen sind alle Sender-Veröffentlichungen einsortiert, 53 an der Zahl. Auf dem Boden stehen die Platten anderer Labels – noch in Blomes Plattentasche, denn neben seiner Tätigkeit als Produzent und Labelmacher arbeitet er auch und vor allem als DJ. „Berlin war immer so ein Traum, von Köln aus“, sagt Blome. Doch mit den Fernsehtürmen verbindet er etwas anderes: Er sei immer sehr viel ausgegangen, aber irgendwann wollte er etwas zurückgeben – selbst senden eben. Da habe er dann Sender gegründet. Außerdem sei es ein lustige Idee gewesen, jeden Produzenten, der auf Sender veröffentlicht, mit einem Foto am Fernsehturm seiner Heimatstadt vorzustellen. Irgendwann sind es allerdings zu viele Künstler geworden und die Türme ausgegangen.

Tatsächlich läuft Sender ziemlich gut. Nachdem die ersten Veröffentlichungen sich noch deutlich an einer Minimal-Techno-Ästhetik orientierten, steht Sender heute für den beliebten Knarz-Sound, der formalen Minimalismus mit maximalem Einsatz der klanglichen Mittel kombiniert: Wenn das gut geht, so wie bei den Produktionen von Misc. oder Metope, hört es sich an, als wollten sich Kampfroboter gegenseitig in die Tanzfläche kloppen. Daneben finden sich auf Sender aber auch die Melancholie des Hamburger Produzenten Sten und die Dancefloor-Schieber von Jake Farley aus Kanada.

„Es soll familiär bleiben“, sagt Blome, wenn man ihn fragt, wo er sich auf halbem Weg zwischen Autorenlabel und Mittelstandsbetrieb verorten würde. Natürlich wäre es möglich, Sender größer zu machen und mehr Platten zu veröffentlichen. Die Kontakte zu anderen Produzenten sind da, Anfragen hat er auch genug – aber er scheut die Verantwortung, die damit unweigerlich auch einhergeht. Am Ende ist es ihm am liebsten, wenn er aus dem Bauch heraus entscheiden kann. „Das Programm bin ich“, sagt er und lacht, weil es sich so zitierfähig anhört.

So unterschiedlich die Klangästhetiken der verschiedenen Künstler auf Sender auch sind – das Bauchgefühl von Blome hält sie tatsächlich zusammen. Was auch mit dem wunderbaren Artwork des Labels zu tun hat, das wie die perfekte Übertragung des Klanglichen auf die Ebene des Visuellen funktioniert: Es muss dabei nicht immer so direkt sein, wie bei Benno Blomes eigener Platte „Satellite City“, deren Cover ein Bild von einem gekringelten, leuchtend rosa Tintenfischarm ziert, der sich weiter in sich zu drehen scheint – und wo die eine Plattenseite nur als Loops besteht, Klangschleifen, die nie enden, und die man laufen lassen kann, bis die Nadel sie ausgekratzt hat.

Fast alle Cover des Labels haben einfache, minimalistisch übersichtliche Grafiken, die durch die leuchtenden Farben noch betont werden. Ähnlich der Sender-Sound: klar und reduziert, mit überdeutlich herausstechenden Klängen. Würde man sich das als Malerei vorstellen, wären es wenige einfache Striche breiter Pinsel, die dicke unverdünnte Farbe auftragen.

Heute Abend: 6 Jahre Sender. Mit Benno Blome, Baby Ford und Basteroid. Ab 24 Uhr im Deep, Prenzlauer Berg