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Gewalt im FußballHilflose Appelle

Nach dem Tod eines Linienrichters wird in den Niederlanden über Gewalt in der Gesellschaft diskutiert. Dabei geht es auch um den Hintergrund der Täter.

Gemeinsames Gedenken an Linienrichter Richard Nieuwenhuizen: Mitglieder des SC BuitenBoys versammeln sich auf dem Spielfeld. Bild: reuters

AMSTERDAM taz | Nach dem Tod des Linienrichters Richard Nieuwenhuizen ist in den Niederlanden eine große Diskussion zum Thema Fußballgewalt entbrannt. Der Schock über die brutale Attacke von B-Jugendspielern des Amsterdamer Clubs Sportvereniging Nieuw-Sloten am Sonntag mündet drei Tage später vor allem in die Forderung, den Amateurfußball mittels harten Durchgreifens zu befrieden.

Bernard Fransen, Vorsitzender der Amateur-Abteilung beim nationalen Fußball-Verband KNVB, kündigte „zutreffende Maßnahmen“ an. „Jetzt muss wirklich etwas passieren. Den Ansatz von schlapper Toleranz haben wir hinter uns gelassen.“

Zuvor hatte der Bericht eines Augenzeugen dem Entsetzen über den tödlichen Angriff auf den Linienrichter Form gegeben. Igor van Gelderen ist der Leiter der Jugendabteilung des gastgebenden Clubs SC Buitenboys Almere, für den auch Nieuwenhuizen aktiv war. Gegenüber RTL Nieuws erzählte er, wie die Spieler aus Nieuw-Sloten auf den am Boden liegenden Linienrichter eintraten.

Als van Gelderen hinzukam, seien die Jugendlichen weggelaufen, doch nur wenig später sei ein Spieler plötzlich auf Nieuwenhuizen zugerast und habe ihm mit voller Wucht gegen den Kopf getreten. Der 41-Jährige verstarb noch am selben Abend. Seine letzten Worte zu einem Club-Offiziellen im Krankenhaus lauteten: „Was für ein Scheißfußball.“

Die Witwe Richard Nieuwenhuizens hofft derweil, dass ihr Mann „der Letzte“ ist, der durch Gewalt im Fußball ums Leben gekommen sei. Der KNVB sagte alle Amateurspiele am kommenden Wochenende ab, rief aber die Klubs dazu auf, an einer Art Tag der Offenen Tür ihren Mitgliedern Raum zur Diskussion über das Ereignis zu bieten. „Verschiedene Parteien müssen dazu beitragen, eine Lösung gegen die Gewalt zu finden“, so Vorsitzender Fransen. „Wir müssen alle zusammen sagen: Jungs, das muss aufhören!“

Akzent auf individuellen Strafen

Just solche Appelle offenbaren indes die ganze Hilflosigkeit angesichts eines Phänomens, das ähnlich wie in Deutschland schon seit Jahren immer wieder in der Diskussion steht. 2011 empfahl eine Task Force des Fußballverbandes deutlich härtere Strafen bei Schlägereien und Schiedsrichterbeleidigungen.

Seit Beginn der laufenden Saison liegt der Akzent eher auf individuellen Strafen, während zuvor eher das betreffende Team aus dem Spielbetrieb verbannt wurde. 1.040 Fälle von Gewalt wurden 2010 im niederländischen Amateurfußball registriert. Der KNVB hat sich zum Ziel gesetzt, diese Zahl zu halbieren. 2011 lag die Zahl noch immer bei 873.

Aus verschiedenen Richtungen kommt daher der Ruf, die Vorfälle auf breiterer Ebene zu diskutieren. „Dies ist kein Problem von BuitenBoys oder von Almere, sondern hat eine landesweite, selbst eine europäische Dimension“, so der Vorsitzende von BuitenBoys, Marcel Oost. „Es geht um mehr. Dies ist ein gesellschaftliches Problem“, findet auch Justizminister Ivo Opstelten. Der tödliche Angriff auf Nieuwenhuizen sei ein „sehr ernstes Signal“ und dürfe nicht wegdiskutiert oder als Zwischenfall abgetan werden.

Auf anderer Ebene hat die gesellschaftliche Debatte bereits begonnen. Auf niederländischen Websites wurde schon am Dienstag intensiv über die Täter diskutiert. Im Mittelpunkt standen dabei deren vermeintlicher Hintergrund und die Frage, ob es sich um „allochthone“, also Migranten handele. Die Boulevard-Zeitung Telegraaf zitierte den BuitenBoys-Vorsitzenden Oost, nach dem die Aggressoren drei marokkanische Spieler von Nieuw Sloten gewesen. Am selben Abend titelte die neokonservative Website GeenStijl.nl.: „Nieuw- Sloten: Es waren AUSLÄNDER“.

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18 Kommentare

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  • H
    Harald

    Hilfreicher Appell: One Man - One Rule

     

     

    100 Schiedsrichter in NL hören auf und haben ihr Amt niedergelegt. Für das Wochenende sind alle Amateurspiele abgesagt. In den Profiliegen wird eine Schweigeminute abgehalten.

     

    Es kann jetzt nur eine Reaktion geben. Die UEFA und alle nationalen Verbände in Europa müssen klarmachen: Körperliche Angriffe von Spielern auf den Schiedsrichter werden mit lebenslanger Sperre belegt. Was für Dopingtäter recht ist, kann für Gewalttäter nur billig sein.

     

    Diese Sperre muss ab der B-Jugend wirksam ausgesprochen werden. Kommt dieses Signal jetzt nicht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der nächste zu Tode geprügelt und getreten wird.

     

    Die Botschaft der Regel muss einfach und klar sein: Null Toleranz beim Schiri

  • Z
    zumkotz..

    Bis vor einiger Zeit dachte ich, ich wäre ein moderner, multikultureller, toleranter, vourteilsfreier Mensch. Wenn jemand auch nur ansatzweise rassistische, nationale Gedanken äußerte, ging ich schon auf kontra. Und nun? Nachdem ich die ersten Berichte über diesen widerlichen Totschlag gelesen hatte und in Verbindung mit der Herkunft des Vereins (Umfeld größere Stadt), blitzte reflexartig die Frage auf: "Wieder Migranten?". Hab mich noch geärgert, so was zu denken; bin doch kein Nationaler, bin doch tolerant, ein aufrechter Linker. Scheiße, es waren doch Jungs mit "migrationshintergrund"! Es ist zum kotzen, wie kommt es, das bei solchen sinnlosen machogewalttaten "Migranten" häufiger auffällig werden als andere? Oder ist die Presse so hinterhältig das nur über diese berichtet wird? Wie kommt es; das wen mir abends eine Gruppe "cooler" migratonsjugendlicher entgegenkommt, meine nervosität mittlerweile ein wenig steigt, ich instinktiv nach Ausweichmöglichkeiten ausschau halte? Bin ich paranoid, oder ein Rassist? Ist das Erfahrung (wohne in einer Großstadt), gesunder Selbstschutz oder Vorurteil aufgrund selektiver Wahrnehmung? In dieser Frage gibt es kein einfaches Schwarz-Weiß, Links-Rechts. Es gibt komplexe Geselschaftsprobleme, zu deren Lösung auch die unangenehmen Wahrheiten, Tatsachen angesprochen werden müssen. Eine davon ist m.E. das auffällig viele Jungs aus der Gruppe der Migranten ein gestörtes Verhältnis zur Gewalt haben. Mit verschweigen löst man dieses Problem nicht.

  • T
    Teermaschine

    @) Jonas

     

    Nichts, aber auch wirklich gar nichts leistet der Verbreitung von Vorurteilen und Ressentiments größeren Vorschub als eine verordnete Ausblendung der Realität. Und es gibt kein besseres Beispiel als die Niederlande, die bis in die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts europaweit als multikulturelles Vorbild diente, ehe man sich verwundert die Augen rieb, als ein Pim Fortyn die politische Bühne betrat. Wie war das möglich? Was war passiert? Wie konnte die einstmals so liberale und für seine Integrationsfähigkeit gerühmte niederländische Gesellschaft eine rechtspopulistische Bewegung gebären? - Diese Frage sollten Sie sich einmal stellen. Und vielleicht bietet die taz einmal niederländischen Soziologen den Raum, zu erklären, wie es zu dieser Entwicklung kam. Und welchen Beitrag eine Presse leistete, die gesellschaftliche Probleme kollektiv nicht wahrnehmen wollte.

  • AG
    Anton Gorodezky

    Unbescholtene Spieler treten nicht aus dem Nichts heraus einen Menschen tot. Ich gehe jede Wette ein, dass die auch schon vorher durch unsportliches Verhalten aufgefallen sind und dieser Exzess nur der letzte einer langen Kette von Fehlverhalten war.

     

    Wäre ich Fußballtrainer einer Jugendmannschaft, bei mir würde keiner spielen, der sich Karten wegen Meckerns einfängt, auch auf die Gefahr hin, mal mit der zweiten Garde, in Unterzahl oder gar nicht antreten zu können. Zum Fußball gehört mehr als Zweikampfstärke und Flankenschlagen sondern auch eine gewisse Sportsmannhaftigkeit.

     

    Aber was will man machen, bei den Sachen die sich Schiedsrichter teilweise von Profis gefallen lassen.

     

     

    Und nur zur Klarstellung: ich möchte die Verantwortung für die Tat damit nicht irgendwelchen Dritten zuschieben. Das haben die Täter selbst zu verantworten.

    Und danke für den Hinweis auf die Täterherkunft. Ich mag es, wenn man mir als Leser selbst überlässt, Informationen einzuordnen.

  • B
    Bachsau

    Ist doch ganz einfach... wer einmal beim Sport durch Gewaltbereitschaft auffällt ist draußen. Würde das Problem auf Dauer lösen.

  • B
    bla

    Kein Problem beim Fußball, sondern in Problem in dieser Gesellschaft, zu dieser Zeit, in diesen Verhältnissen.

  • G
    Grüezi_mitenand

    @ Jonas-von 17:11

    wenn ich Ihren Kommentar richtig verstehe,VERBIETET der deutsche Presserat die "Täterherkunft" bei solchen Gewalttaten zu nennen?Und Sie halten DAS für RECHT und richtig? Als Schweizerin bin ich sicher keine profunde Kennerin des "DeutschenGrundgesetzes Nur als Bürgerin eines seit 700 Jahren wirklich Bais-Demokratischen Staates nenne ich das schlicht Zensur-genauer voreilende "Selbstzensur".. wegen..ja weswegen eigentlich?"Um Rechtem Gedankengut keine Nahrung zu geben?" Um die werten Bundes-Bürger vor anscheinend "schlechten Nachrichten"zu "beschützen"? Ist es in Deutschland bereits "Rechtes Gedankengut" sich so seine eigenen "Gedanken" über die erhebliche Gewaltbereitschaft bestimmter Zuwanderer-Gruppen machen zu wollen und zu machen?Aber soviel "Demokratie" und Informations-Freiheit "traut" sich Deutschland (noch) nicht? Kommt noch?Wann?

    Die Presse soll-meiner Meinung nach-informieren-umfassend und wahrheitsgemäss. Bin ich jetzt eine "Schweizer NaziBraut" mit "Übel rechtem Gedankengut",

    weil ich dieses Vorgehen Ihres "PresseRates" als zutiefst Demokratie SCHÄDIGEND empfinde? Freiheits-rechte sind den deutschen Nachbarn also letztlich nicht so wichtig,wie ein auf Verschweigen und Lügen basierender vorläufiger innerer Frieden?

  • S
    @Synoptiker

    Soso, Sie wollen also lieber von der Arbeit fertige junge Menschen, die keine Kraft mehr für Gewalt haben. Am besten, man schafft für diesen Zweck die Maschinen ab. Selten so eine überaus seltsame Analyse gelesen wie Ihre. Kleiner Tipp: Fußball soll manchmal durchaus anstrengend sein.

     

    D.J.

  • J
    @Jonas,

    Wenn Sie diesen Beitrag klarer als Ironie kennzeichnen, ist es in Ordnung. Ansonsten habe ich ein Problem damit, dass Sie hier angeblich verbreitete linke Positionen (es gibt sie ähnlich, ich weiß, aber i.A. nicht in dieser absurden Ausprägung) so darstellen, dass die als echt wahrgenommen werden können.

  • G
    gizeh

    Hm, ich könnte mir vorstellen, dass die zunehmende Gewalt auch etwas damit zu tun hat, was die Betreffenden in ihrer Zeitung lesen, im Satellitenfernsehen hören, oder vom Imam erzählt bekommen. Und das ist häufig leider sehr wenig friedfertig, integrativ, oder weltoffen. Das dürfte schwierig werden zu ändern.

  • F
    Fragender

    @ Jonas

     

    Warum “darf“ die Täterherkunft nicht genannt werden?

    Warum “müssen“ wir mit dieser Gewalt leben?

     

    Nach dieser Logik ist es also weniger schlimm, wenn ein Mensch durch Gewalt zu Tode kommt, als wenn ein Mensch das falsche Gedankengut hat?

     

    Gedankengut begeht keinen Totschlag.

     

    Kannst du mir das nochmal erläutern, Genosse?

  • S
    Saba

    Ich verweise auf die erfolgreiche 10 Jährige verbanung des Alkohols aus den Brasilianischen Stadien .

    Massenveranstaltungen werden in Zukunft ohne Alkohol ,freidlich zelebriert . Basta !

    Alkoholdealer ,verpisst euch !

  • M
    maja

    @ Jonas: Ist das Ernst oder Satire?

  • A
    aujau

    @ Plumpe: Man erinnere sich doch mal kurz an die Tatsache, dass die Jungänner, die vor Jahren in Frankreich einen Polizisten ins Koma traten, Deutsche waren.

  • S
    Synoptiker

    Die Gewaltbereitschaft ist inzwischen nicht nur ein niederländisches sondern ein europäisches Problem geworden, wo aber bleibt die europäische Vernetzung der Innenminister ?

    Zum zweiten gibt es kaum noch körperliche Betätigungsfelder für unsere Jugendlichen in der Zivilgesellschaft. Arbeitsplätze - zumal körperlich fordernde Jobs, gibt es aus Rücksichtnahme auf die Wirtschaft nicht mehr. Es muss ja alles rationell, effektiv und ökonomisch sein. Also lieber Menschen entlassen um die Lohn-Nebenkosten zu minimieren. Die Arbeitszeiten für Ältere werden sogar noch verlängert, damit die Jungen noch länger auf den Eintritt ins Arbeitsleben warten müssen. Folgen: Wir haben ausgeruhte junge Menschen, die einen Ausweg nur noch in Gewaltanwendung und Fußball-Randale sehen.

    Und drittens haben wir eine Kuschel-Justiz, die von einer wehrhaften Demokratie und notwendigen Justiz-Reform offenbar noch nichts gehört hat! Wir müssen uns klar machen, dass die Wirtschaft und die Justiz für die Menschen da sind. Unser GG muss gegen diese Lobbyisten wieder in Stellung gebracht werden. Es ist durch Globalisierung und radikale Zocker-Finanzmärkte außer Kraft gesetzt worden.

    Banken-Rettung Fr. Merkel kann nicht alles sein. Tun Sie endlich was gegen die Gewalt und zwar auf europäischer Ebene! Sie bekommen zu unrecht diese hohen Sympatie-Werte von undemokratischen Institutionen im internationalen Raum und konservativen deutschen Medien. Im Innern geht es bei uns drunter und drüber, tun sie endlich etwas!!

  • J
    Jonas

    Die Täterherkunft darf nicht erwähnt werden!

    Auch das Argument, eine Ursachenforschung müsse den ethnischen Faktor mit einschließen, muss hinter der Forderung zurückstehen, rechtem Gedankengut keine Nahrung zu liefern.

    Wir werden wohl oder übel damit leben müssen, dass benachteiligte MenschInnen eben häufig keinen anderen Weg sehen als den der Gewalt.

    Völlig zu Recht verbietet der Presserat die Nennung der Täterherkunft, sofern diese nicht mit D identisch ist.

  • D
    D.J.

    Ich muss gestehen, dass ich bald nach dem Vorfall auf eine mir eigentlich sehr unsympathische Seite gegangen bin, um mehr zu erfahren. Dort wurde wiederum eine niederländische Zeitung zitiert, welche den Hintergrund der Täter ansprach. Nach und nach, langsam, taten es dann auch deutsche Zeitungen. Deniz Yücel sprach letztens vom "Du-darft-nicht"-Antirassismus. Ich werde seine Kolumne erneut lesen. Nötig und erlaubt ist es, über alles mögliche zu dikutieren: Sozialer Status, Bildungsstand der Täter etc. Nach wie vor mit manchen Tabus belegt ist die Frage nach dem kulturellen Hintergrund. Banale These: In einer Kultur, in der die Vorstellung weit verbreitet ist (und ihre Rechtfertigung in autoritativen Schriften findet), dass Nicht-Angehörige der eigenen Gruppe (also Nicht-Muslime) per se minderwertiger sind, ist die Hemmschwelle in Richtung exzessive Gewalt niedriger - auch bei einem nicht hohen Grad persönlich praktizierter Religiosität (wobei ich andere Ursachen damit natürlich nicht negiere).

  • P
    Plumpe

    Der TAZ gebührt ein ausdrückliches Lob, weil sie als wohl einzige deutsche Zeitung den Umstand nicht verschweigt, daß die Täter Marrokaner sind. Das ist gut, weil sich die Leser bei der gleichgeschalteten deutschen Berichterstattung ihren Teil ohnehin denken.