BEIM SCHUSTER
: Socken und Rezept

„Die sind so hässlich“, sagt die Kundin. Also ich jetzt

Mein Schuster hat es nicht leicht. Er hat mich als Kundin. Ich habe doch diesen Gehfehler. Zweieinhalb Zentimeter Unterschied zwischen links und rechts, dazu Spitz-Senk-Spreizfuß, das volle Programm. Aber will partout keine orthopädische Maßanfertigung. „Die sind so hässlich“, sagt die Kundin. Also ich jetzt. Der Schuster schüttelt den Kopf. „Frau Streisand“, sagt er und bemüht sich sehr um einen geduldigen Tonfall. Wir führen diese Diskussion nicht zum ersten Mal. „Wenn Sie mich doch einfach mal machen lassen würden“, sagt er, „was könnte ich Ihnen für Schuhe bauen! Auf Rezept! Und Sie hätten nicht mehr so einen Klotz am Bein.“

Er schubst meinen linken Schuh, der vor ihm auf dem Tisch steht. Ich hab die Sohle in vier Monaten so runtergelatscht, dass ich keinen Halt mehr habe. Nach jedem Spaziergang tut alles weh. Füße, Beine, Rücken, Schultern, Kopf. Deswegen fahre ich am liebsten Fahrrad. Da können meine Sohlen so schief sein, wie sie wollen.

Morgen fahre ich aber nach Köln. Für drei Tage. Ohne Fahrrad. Ich werde viel rumlaufen. Darum brauche ich die Schuhe. Jetzt. Ich habe nur das eine Paar. Leute mit so Füßen wie ich haben andere Hobbys als Schuhe-Shoppen. Deswegen sitze ich jetzt in Socken vor meinem Schuster. „Sie müssen das ja gar nicht so gründlich machen mit den Sohlen. Muss ja nur drei Tage halten.“ Der Schuster starrt mich an. Dann stützt er sich mit dem Unterarm an der Wand ab und beginnt, rhythmisch seinen Kopf dagegenzuschlagen. „Drei Tage!“, jammert er, „drei Tage sollen sie halten! Dafür hat man nun jahrelang Zertifikate angehäuft. Drei Tage! Dagmar, hast du das gehört?“ Die Assistentin am Verkaufstresen nickt mitleidig. „Ich hasse Konfektionsschuhe“, seufzt der Schuster und nimmt meine Schuhe mit in die Werkstatt. Nächstes Mal bringe ich das Rezept für die Maßanfertigung. Versprochen! LEA STREISAND