Gegen Wehrpflicht

Oppositionsparteien geschlossen für Abschaffung. Doch Minister Jung will den Zwangsdienst sogar ausbauen

BERLIN taz ■ Erhalt oder Abschaffung der Wehrpflicht, das könnte eine der großen Diskussionen des kommenden Jahres werden. Unter einer Bedingung: dass die große Koalition anders als die rot-grüne Vorgängerin ihr Versprechen hält, erstmals seit 1994 wieder ein „Weißbuch“ zur Sicherheitspolitik zu erstellen – ein Dokument, das Haltung und Strategie der Bundesrepublik zum Thema Krieg und Frieden umfassend beschreiben soll.

Anlässlich der Jungfernrede des neuen Verteidigungsministers Franz Josef Jung (CDU) im Bundestag zeigte sich gestern deutlich, dass die drei Oppositionsfraktionen ebenso geschlossen gegen die Wehrpflicht sind wie die großkoalitionären Akteure dafür.

Allerdings erinnerte der grüne Verteidigungspolitiker Winfried Nachtwei die SPD daran, dass sie Wehrpflichtgegner in ihren eigenen Reihen hat. Um sie zufrieden zu stellen, hatte der frühere SPD-Chef Franz Müntefering für dieses Jahr eigentlich eine Grundsatzdiskussion über das Thema angekündigt. Wie vieles andere wurde das Vorhaben jedoch Opfer der Neuwahlen.

Sinn und Zweck der Wehrpflicht könnten „nur noch von älteren Generationen nachvollzogen werden“, rief Nachtwei gestern in den Bundestag. „Nicht von den Jüngeren.“ Die neue FDP-Sicherheitsexpertin Birgit Homburger erklärte, es reiche nicht, dass Schwarz-Rot in den Koalitionsverhandlungen kurzerhand erklärt habe, dass die Wehrpflicht die beste Wehrform sei. „Eine Begründung dafür, dass die Wehrpflicht gut ist, bleiben Sie schuldig“, sagte Homburger. Auch Paul Schäfer von der Linksfraktion sagte, von Wehrgerechtigkeit könne „keine Rede mehr sein“, seit nur noch jeder fünfte junge Mann zur Bundeswehr gezogen werde.

Verteidigungsminister Jung hatte schon im Vorfeld angekündigt, wieder mehr Wehrpflichtige ziehen zu wollen und so für mehr Wehrgerechtigkeit zu sorgen. Wie sein Vorgänger Peter Struck (SPD) will er die Truppenstärke insgesamt nicht unter 250.000 Frau und Mann sinken lassen.

Gestern im Bundestag schwieg Jung zu der Frage, ob und inwiefern auch die Soldaten der Bundeswehr ab 2006 von den geplanten Einkommenskürzungen im öffentlichen Dienst betroffen sein sollen. Zwar hat die große Koalition signalisiert, Wehrdienstleistenden das Weihnachts- und Entlassungsgeld möglicherweise doch zu lassen. Auch hat sich Jung schon für eine bessere Besoldung für Soldaten in Auslandseinsätzen stark gemacht. Doch es gilt als ausgeschlossen, dass Jung das Personal der Bundeswehr gänzlich vor Kürzungen bewahren kann. Die wichtigste Interessenvertretung der Soldaten, der Bundeswehrverband, schlägt statt Geldentzug die Streichung von Urlaubstagen vor. ULRIKE WINKELMANN

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