Die Wahrheit: Ein heiterer Abschied
Sie rauchte wie ein chinesischer Containerfrachter und betrieb nur unwesentlich mehr Sport als ein besticktes Sofakissen. Nun hat das Christkind sie mitgenommen.
Es war okay so. Zuletzt litt meine Mutter an einer „chronisch obstruktiven“ Lungenkrankheit, und auch wenn ich spontan nicht sagen könnte, was „obstruktiv“ genau bedeutet – lustig klingt es nicht. Eher wie eine Quittung. Meine Mutter hat in ihrem Leben gequalmt wie ein chinesischer Containerfrachter und nur unwesentlich mehr Sport betrieben als ein besticktes Sofakissen.
Diese üblen Angewohnheiten verliehen allem, was noch kommen sollte, eine grausame Folgerichtigkeit. Beklagen konnte sich meine Mutter jedenfalls nicht, und so rettete sie sich in einen Witz, der nicht jedermanns Sache sein mag.
Irgendwann nahm sich das Herz eine Auszeit, und da wollte auch die Lunge nicht mehr, wie sie doch von Haus aus sollte. Zu Infarkt und Emphysem gesellte sich Asthma, als ob sich zu Pest und Cholera ein Schnupfen gesellt. Und so brauchte meine Mutter ständig frischen Sauerstoff. Der wurde ihr in Form eines zylindrischen Druckkörpers auf Rädern geliefert, an den sie über einen zehn Meter langen Schlauch angeschlossen war.
Diese Apparatur, aus dessen Ende es ihr unentwegt in die Nase pustete, war denn auch Gegenstand allerlei derber Scherze. „Ich glaube, du stehst mal wieder auf dem Schlauch“, pflegte sie zu sagen, wenn ich mal wieder so buchstäblich wie sprichwörtlich auf dem Schlauch stand. Der Sauerstoffbehälter selbst mit seinen Drehknöpfen, Uhren und Anzeigern wurde von uns Kindern R2-D2 genannt wie der freundliche Roboter aus „Krieg der Sterne“. Das rhythmische Geröchel und Geblubber des Geräts wiederum erinnerte jeden, der es hörte, an Darth Vader: „Ich bin deine Mutter, Luke.“
Besser wurde es allerdings nicht. Eher schlechter. Des bekömmlicheren Klimas wegen holte meine Schwester meine Mutter nach Spanien, wo sie sich in einer eigenen Wohnung noch ein schönes Jahr machte. Ende November dann der lange befürchtete Anruf: „Mama liegt auf der Intensivstation.“ Da lag sie denn auch wirklich, zusammen mit einem Dutzend anderer Patienten, und konnte dreimal täglich für eine halbe Stunde besucht werden. Aus der freundlichen Zufächelung von Sauerstoff war eine Druckbetankung geworden, gewährleistet durch eine Gesichtsmaske, wie sie auch Kampfpiloten tragen. Womit wir sie natürlich hänselten: „Zieh die Maschine hoch, verdammt!“ Sie antwortete mit dem Abfeuern imaginärer Raketen.
Wenn sie nicht sprechen konnte, gestikulierte sie eifrig, zeigte den Vogel, machte den Scheibenwischer und rollte die Augen über den Besucher am Nachbarbett, der wirklich außerordentlich dummes Zeug plapperte. Als dann die Maske kurz abgenommen wurde, sprach sie über ihre versammelten Kinder ein endgültiges Urteil: „Ihr seid doch alle total bekloppt.“ Und gemeinsam gackerten und lachten wir diesen Ort des Grauens in Grund und Boden, bis Schwestern und Ärzte uns kopfschüttelnd hinauskomplimentierten.
An Heiligabend kam das Christkind und nahm sie mit. Wo auch immer sie jetzt ist, wird sie sich auf den Stress erst mal eine Zigarette angezündet haben. Es wäre okay so.
Die Wahrheit auf taz.de
Leser*innenkommentare
blindfisch59
Gast
Dieser Text hat Haiku-Charakter.
Vielleicht liegt es daran, dass ich auch gerne eine so schöne Liebeserklärung an meine Mutter geschrieben hätte, selten jedenfalls hat mich ein Text so berührt. Auch von mir: Danke!
Inge
Gast
Danke, danke, danke. Ich habe selten etwas berührenderes, traurigeres und lustigeres gelesen. Wenn ich mal sterbe sollte, dann genau mit dieser Mischung aus Rührung und Witz und Liebe und auch Trauer. Wer verliert schon gerne eine solchen Menschen! Als Krankenschwester werde ich jetzt all unsere Sauerstoffflaschen umbenennen..;)...Und jetzt auf mein persönliches chinesisches Containerschiff gehen.
Mika
Gast
Danke!
„Wie bei einem Theaterstück kommt es beim Leben nicht darauf an, wie lange es dauert, sondern wie gut es gespielt wird.“ (Seneca)
jo he
Gast
danke, herr frank.
Simone
Gast
Sehr berührend und menschlich... eine wunderbare Erinnerung an die Mutter. Ich glaube, sie hätte sich über diese Kolumne gefreut.
Noncommittal
Gast
Ihre Mutter hat es Ihnen leicht gemacht. Ich hoffe, es klingt jetzt nicht herzlos, denn so ist es nicht gemeint. Es ist bewundernswert, wenn Menschen ihren Humor und ihre Lebendigkeit bewahren, egal wie nah der Tod kommt. Sehr mutig von ihr.
Viel zu oft habe ich leider andere Geschichten gehoert und zum Teil miterlebt.
Was das Ketterauchen und kein Sport angeht ... nun ja, es kriegen leider auch Nichtraucher Lungenkrebs und Lungenembolie. Krankheiten sind einfach da, ohne die Quittungen fuer irgendwelche "Suenden" zu sein. Wer "gesund" lebt, wird trotzdem sterben muessen, und zwar sehr wahrscheinlich an einer schlimmen Krankheit.
Aenne
Gast
Einfach Großartig!
Humor ist, wenn man trotzdem lacht!
Buh
Gast
Mein Albtraum seit ich denken kann, denn meine Mutter ist auch starke Raucherin und beklagt sich jetzt mit über 50 häufig darüber, nicht richtig Luft bekommen zu können. Furchtbar.
Ich bewundere wie Sie damit umgehen. Ich kann und könnte das nicht.
rolff
Gast
Erinnert sehr an David Sedaris und die Geschichte über seine kettenrauchende Mutter.
Sven-André Dreyer
Gast
Toll geschrieben!!
Falmine
Gast
Danke, dass Sie mir mein Ende so freundlich beschrieben haben.
Dirk Fleck
Gast
Ein wunderbarer Artikel, Kompliment.
aka
Gast
symphatische Familie seid ihr ...
Kim
Gast
Traurig!
Und toll, wie Du und deine Geschwister die Stärke hatten, sie so heiter verabschiedet zu haben! Die beste und schwerste Art.