Der große Graben

Bei der Mitgliederversammlung der schleswig-holsteinischen Linkspartei zerlegen sich die Genossen. Und halten an dem umstrittenen Abgeordneten Heilmann und der Landesvorsitzenden Lechner fest

von Esther Geißliner

Szenen eines Parteitages: Draußen vor dem Sitzungssaal steht Stefan Rudau, Schatzmeister der Linkspartei Schleswig-Holstein, raucht und ärgert sich. Aus der Tür kommt Lutz Heilmann, von jener Linkspartei in den Bundestag entsandt. Beide messen sich mit kurzen Blicken, wenden sich voneinander ab. Drinnen im Saal läuft eine Delegierte zu einer Gruppe von Presseleuten und erzählt, was sie herausgefunden habe über Lutz Heilmann: „Damit kriege ich ihn.“

Kurz darauf geht die Debatte weiter. Es wird hart diskutiert, mit Zwischenrufen, Applaus hüben und drüben. Es geht um die Tagesordnung. An diesem zweiten Advent in Neumünster zerlegt sich eine Partei: „Ich habe noch nie so unwürdige Umgangsformen erlebt wie hier“, sagt ein Redner bei der Generaldebatte.

Den Streit ausgelöst hat Lutz Heilmann, der als Spitzenkandidat der Schleswig-Holsteinischen Linken in den Bundestag einzog und von dem später bekannt wurde, dass er früher als Personenschützer bei der Stasi gearbeitet hat. Die Landesvorsitzende Edda Lechner hat davon gewusst und nichts gesagt. Seit das bekannt wurde, sind Vorstand und Partei in zwei Lager zerfallen: Die einen wollen möglichst schnell weg von der bösen Personaldebatte, die anderen fordern, Heilmann solle sein Mandat zurückgeben und Lechner abgewählt werden. „Wir sind belogen und betrogen worden“, so ein Redner.

„Es geht nicht um die Stasi-Tätigkeit“, erklärt Rudau, der im Vorstand zu den Gegnern von Lechner gehört. „Es geht um den Umgang damit.“ Anfangs hätte eine Entschuldigung Heilmanns gereicht: „Jetzt nicht mehr.“ Heilmann selbst weiß, was er will: im Bundestag bleiben. Er räumt zwar seinen Fehler ein und entschuldigt sich kurz dafür, erklärt seine Biografie aber zu einem „Teil der deutschen Geschichte“ und wechselt ganz schnell zu den schönen Themen – Hartz IV und was die Linkspartei davon hält.

Heilmann hält sich am Manuskript fest, wirkt unsicher, sucht manchmal nach Worten und trotzdem ist der Applaus nach seiner Rede groß. Hilfe bekommt Heilmann auch von seinem Bundestagskollegen Roland Claus, der versichert, die Fraktion habe Heilmann das Vertrauen ausgesprochen. Claus mahnt, die Partei nicht zu lähmen.

Aber die Partei kommt so schnell nicht über die Hürde, es sind viele böse Worte gefallen und weitere kommen hinzu. „Ich bin enttäuscht und entsetzt vom Umgang“, sagt eine Rednerin, „Leute werden in Emails denunziert“, beklagt ein anderer. „Lieber vier Wochen Streit als vier Jahre immer wieder Probleme“, sagt Vorstandsmitglied Brigitta Wendt und zu Heilmann: „Du degradierst uns zum Kaspertheater.“

Die Lage wird verkompliziert dadurch, dass die Partei den frei gewählten Kandidaten nicht zum Rücktritt zwingen kann und dass eine Frau der WASG, Heidi Beutin, nachrücken würde, wenn Heilmann seinen Sessel räumen würde. Die WASG übrigens hat die Fusionsgespräche mit der Linkspartei mittlerweile abgebrochen, will aber grundsätzlich am angestrebten Bündnis festhalten.

Die Linkspartei ist ein bunter Haufen: Sie besteht aus Politikneulingen, PDS-Altkadern und entlaufenen Sozis. Die meisten sind eingetreten, weil sie eine neue Politik wollen, eine andere Art der Debatte – besser als in den bürgerlichen Parteien. Diese Träume sind spätestens mit Neumünster dahin, vor allem, als es am späten Nachmittag zum Schwur kommt: Abgestimmt wird darüber, dem Kandidaten Heilmann das Misstrauen auszusprechen. Der Antrag scheitert knapp, 42 Mitglieder wollen Heilmann das Misstrauen aussprechen, 49 stimmen dagegen. Auch die Landesvorsitzende Edda Lechner wird im Amt bestätigt, und das noch knapper: 39 Mitglieder stimmten für die Abwahl, 40 dagegen, drei enthalten sich. Die schwere Krise der Linkspartei im Norden ist alles andere als vorbei.