LESERINNENBRIEFE
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Stuttgart 21 ist wie BER

■ betr.: „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?“, taz vom 11. 3. 13

„Man wird den Enkeln eine seltsame Geschichte erzählen von einem Kampf gegen Straßen und Autos, der in der Verhinderung eines Bahnhofs gipfelte.“

Kleine Korrektur, obwohl mir Herrn Küppersbuschs Ausblick auf einen „Kampf (…), der in der Verhinderung eines Bahnhofs gipfelte“ sehr optimistisch erscheint: Es ging und geht in Stuttgart nicht um die Verhinderung eines Bahnhofs. Es ging und geht um die Zerstörung eines Bahnhofs (und einer Stadt). Schade, dass dieser elementare Unterschied bislang noch nicht zu Herrn Küppersbusch durchgedrungen ist. Merke: Stuttgart 21 ist wie BER, allerdings am Standort von Tegel. Jetzt kapiert? SABINE REICHERT, Stuttgart

Gibt es einen politischen Willen?

■ betr.: „Vergesst das BIP“, taz vom 11. 3. 13

Die eigentliche Frage sei, wie man ökologische Nachhaltigkeit zu einer nicht ignorierbaren Zieldimension machen könne. Nein! Die eigentliche Frage ist, ob es einen politischen Willen gibt, Lebenszufriedenheit statt Wachstum als Ziel aller Politik zu setzen und die dafür nötigen Steuerungsinstrumente zu entwickeln.

Das kleine Land Bhutan macht es professionell vor: Im Stile einer balanced scorecard (ein Business-Management-Instrument) werden vier Zieldimensionen politisch prioritär gesetzt und dann erst mit Analyseindikatoren versehen, die die Steuerung ermöglichen sollen. Ökologische Nachhaltigkeit ist eine der Zieldimensionen, neben „ausgewogener sozioökonomischer Entwicklung“, „Bildung und Kultur“ und – horribile dictu – „guter Regierungsführung“. Dieses letzte selbstkritische Korrektiv fehlt natürlich komplett im innenpolitischen Denken der politischen und politikberatenden Akteure (wird aber in der Entwicklungszusammenarbeit gerne als Maßstab an andere angelegt). In der in Bhutan gewählten Konstruktion werden auch die Zielkonflikte der vier Dimensionen transparent und verhandelbar. So etwas funktioniert, wenn „Lebenszufriedenheit“ zur Chefsache wird und nicht der Ressortkonkurrenz in Form von drei eigenständigen Sachverständigenräten überlassen wird, wie es die Autoren Wagner, Kroh und Schatz andenken. Gegen Ende ihres Beitrags schwurbeln die Autoren um eine „Einbettung in politische Strukturen“ herum. Sorry: Diese Einbettung heißt „Richtlinienkompetenz“. Die professionellen Instrumente gibt es also und die politischen Strukturen auch. Bleibt nur zu vermerken, dass eine entscheidende Dimension noch fehlt, wie diese Dimension überhaupt in der deutsche Politik fehlt: eine Vorstellung vom globalen Frieden und der Strategien, sich ihm zu nähern. RAINER NOLTE, Bad Boll

Stiftung heißt steuerfrei

■ betr.: „Mit 68 noch als Girlie an der Kasse sitzen“, taz vom 12. 3. 13

Die „Studie“ der Universität Bochum zur Bevölkerungsentwicklung ist vor allem eines: Ein Anschlag auf den gesunden Menschenverstand, ein Fußtritt für die Wissenschaft oder ein böser Witz. Angesichts der Unwägbarkeiten geschichtlichen Wandels über ein halbes Jahrhundert der Öffentlichkeit nur ein Horrorszenario („2060 sind fast zwei Drittel der Bevölkerung über 65“) anzubieten, damit der Auftraggeber zufrieden ist, ist eine Blamage für die Ruhr-Uni Bochum. Wenn das tatsächlich das Einzige ist, was in der Studie steht.

Das statistische Bundesamt hat 2012 eine eigene öffentliche Studie mit zwölf Szenarien herausgegeben (www.bpb.de). Dieses Vorgehen dürfte der Offenheit der Zukunft erheblich mehr entsprechen – und trotzdem reine Kaffeesatzleserei sein. Dennoch, darunter sind auch Szenarien, die für 2060 einen Anteil der über 60-Jährigen von 39 Prozent errechnen. Voraussetzung dafür: jährliche Zuwanderung. Ein mögliches Ansteigen der Geburtenrate ist dazu nicht einmal nötig. Da klopft das Herz wieder etwas langsamer.

Der Fall zeigt vor allem eines: Drittmittelfinanzierung führt zu wissenschaftlicher Unredlichkeit. Zeig mir den Auftraggeber und ich sag dir vorher schon, was dabei herauskommt. Dass die Bertelsmannstiftung einer der Vorreiter der neoliberalen Wattetheorie ist, nach der „mehr Bildung“ und „weniger Sozialtransfer“ uns alle „retten“ könnte, dürfte inzwischen auch jedem bekannt sein, der nachdenkt. „Stiftung“ heißt nämlich nicht „gemeinwohlorientiert“, sondern „steuerfrei“. MICHAH WEISSINGER, Essen

Es gab bereits eine Linkspartei

■ betr.: „Der Frust wächst“, taz vom 12. 3. 13

„Ohne Agenda hätte es keine … WASG sowie keine Linkspartei (gegeben).“ Das ist ein sehr gewagter und ebenso falscher Satz. Das liest sich, als wäre die Entstehung der Linkspartei nur frustrierten Sozialdemokraten geschuldet.

Vor der Fusion 2007 gab es sehr wohl bereits eine Linkspartei, neben der WASG, und zwar die PDS. Im Grunde haben sich die Ex-SPDler lediglich den Ambitionen und dem Grundsatzprogramm der PDS angegliedert; und auf den guten Oskar Lafontaine hätte man auch gut verzichten können; diesen Namen nun an die Existenzberechtigung der heutigen Linkspartei festzumachen, ist ebenfalls zweifelhaft. Wagenknecht, Kipping, Gysi, Korte – all die guten linken Politiker waren seither schon in der PDS gewesen. Die Gründung der WASG lässt auch die Frage offen, inwieweit die SPD noch wirklich als linksalternative Partei zu deuten ist: „Links der Mitte“ ist ein sehr schwammiger Ausdruck und soll wohl nur als Begründung dienen, sich rein plakativ thematisch von der anderen Volkspartei zu distanzieren, doch inhaltlich schaut das schon ganz anders aus.

JAN SCHEURECK, Gailingen