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Kommentar Urteil Ehrenmord Arzu Ö.Strafen allein genügt nicht

Kulturelle Ehrbegriffe legitimieren keinen Mord. Im Fall Arzu Ö. ist ein Durchbruch gelungen: Das schweigende Billigen eines Mordes wird strafrechtlich verfolgt.

E s ist ein Fortschritt. Der Vater von Arzu Ö. wird wegen Beihilfe zum Mord an seiner Tochter verurteilt. Dem Gericht ist gelungen, dieses schwammige Konglomerat namens Familienehre auseinanderzunehmen. Nach den scharfen Urteilen gegen die fünf Geschwister der Ermordeten erhielt nun auch der Vater eine Haftstrafe.

Schon öfter bei sogenannten Ehrenmorden hatten Staatsanwaltschaften versucht, Familien, die den Mord billigen, anzuklagen – oft ohne Erfolg. Ob das jetzige Urteil Bestand hat, wird sich erst noch zeigen. Bestätigt es die Revision, wäre klar: Das schweigende Billigen eines solchen Mordes ist nicht mehr sicher für die Familie – das wäre ein gutes Signal.

Allerdings bleibt eine ganz bittere Erkenntnis übrig: Arzu Ö. hatte wie vor ihr Hatun Sürücü, wie Morsal O., wie viele junge Frauen aus traditionell patriarchalen Familien, die bedroht werden, Hilfe gesucht. Sie war im Frauenhaus. Die Polizei besuchte die Familie sogar für eine sogenannte Gefährderansprache. Aber das Hilfssystem hat eine Lücke zwischen Frauenhaus und Polizei. Darin ist verschwunden, was keiner ansprechen will: der kulturelle Hintergrund solcher Taten.

taz

ist Inlandsredakteurin der taz.

Ja, es darf im Strafsystem keinen „Kulturbonus“ geben, wie die Frauenrechtlerinnen von Terre des femmes richtig fordern. Aber im Hilfesystem muss man genau diesen kulturellen Hintergrund thematisieren. Es braucht SozialarbeiterInnen, die die Ehrbegriffe verstehen. Und die dann mit solchen Familien arbeiten, wenn eine Tochter Bedarf anmeldet.

Die „Gefährder“ nicht nur polizeilich ansprechen, sondern ihnen eine psychosoziale Hilfestellung geben. Mit Strafen allein ist es nicht getan, wenn Familien ihre Ehre höher schätzen als einen Gefängnisaufenthalt. Die „Gefährder“ brauchen eine Begleitung: gelebte Männerpolitik.

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Heide Oestreich
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.
Heide Oestreich
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.
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10 Kommentare

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  • D
    D.J.

    Auch wenn es sein mag, dass das keiner mehr liest, dennoch dieser Link:

     

    http://www.peri-ev.de/news-presse/fall-arzu-%C3%B6zmen/morddrohungen/

     

    Auch diese Migrantenorganisation hat die Nase getrichen voll von Verharmlosern und Relativierern, wie sie auch hier unter den Kommentatoren anzutreffen sind.

  • D
    D.J.

    @tim:

     

    "@ D.J.

     

    und hier kommt natürlich der experte, der uns gleich erzählt, dass ehrenmord eine religiöse pflicht in beiden religionsgemeinschaften ist und daher die kausalität vorhanden und der bogen gespannt zur "archaischen kultur" des (vor allem) islam ist. haha"

     

    Ihr Kommentar kommt mir ein wenig infantil vor (vor allem das "haha"). O.K., lassen Sie uns dennoch darauf eingehen. Was yezidisches Recht/Religion betrifft, kenne ich mich zu wenig aus. Was islamisches Recht betrifft, schon. Und selbstverständlich würde in einem Land, in dem die Scharia herrscht, die Beziehung einer muslimischen Frau mit einem Nichtmuslim schwer geahndet werden, ggf. auch mit Todesstrafe wegen Apostasie. Wie Sie das Ganze dann nennen, ist mir wurscht. Da können Sie auf den Boten (in dem Falle mich) eindreschen wie Sie wollen.

  • MT
    Mir-kommen-die Tränen

    Na klar, für jede Kommune ein kulturell geschulter Sozialarbeiter, am besten einen männlichen (Frauen werden nicht ernst genommen) und einen weiblichen (Männer werden erst gar nicht in die Wohnung gelassen). Wenn man bedenkt, dass die Familien keinesfalls bereit sind sich sozialarbeiterisch beglücken zu lassen und null Problembewusstsein haben, ist das ein super Job mit viel Freizeit.

    Was wir dagegen tatsächlich mehr brauchen sind türkisch stämmige Polizeibeamte, meinetwegen auch Sozialarbeiter bei Behörden und Verbänden.

    Solche Tätigkeiten sind aber bei Migranten offenbar wenig beliebt. Der eigene Handy- oder Gemüseladen ist attraktiver.

  • P
    Paulo

    double standards bei politischer korrektheit: als ursache/motiv werden, "patriarchale, trationelle familien genannt", dass solche morde bei ehrenmorde in "abendländischen" Familien (die oftauch patriarchal, traditionell sind) stimmt aber nicht. blos nicht gegen islam/orient verallgemeinern.

    aber es dann als als männerproblem darstellen: "Die „Gefährder“ brauchen eine Begleitung: gelebte Männerpolitik", obwohl die simple lektüre des wikipediarktikels aufschluss darüber gibt, dass die schwester arzu's eine schlüsselrolle beim tathergang hatte. (sie hatte durch ihren beruf einsicht in meldeunterlagen und konnte den aufenthaltsort ausfindig machen) das ist wohl der neue sexismus. der mann ist das problem.

  • T
    tim

    @ D.J.

     

    und hier kommt natürlich der experte, der uns gleich erzählt, dass ehrenmord eine religiöse pflicht in beiden religionsgemeinschaften ist und daher die kausalität vorhanden und der bogen gespannt zur "archaischen kultur" des (vor allem) islam ist. haha

  • D
    D.J.

    @pauli:

     

    Aha, wenn die yezidische Religion (in noch schärferer Form als der Islam, der zumindest die Heirat eines muslimischen Mannes mit einer Christin/Jüdin zulässt) jegliche Beziehung außerhalb der eigenen Religionsgruppe als schwerwiegende Sünde ansieht, hat das also keine kulturellen Hintergründe? Diese Art von pseudogutmenschlicher Ignoranz ödet mich einfach nur noch unfassbar an.

  • F
    fyrecrotch

    Danke, daß Sie in Ihrem Artikel die Dinge beim Namen nennen und die Probleme so klar aufzeigen!

  • P
    pauli

    ehrenmord? was soll das sein? wo ist unterschied zwischen einer asozialen deutschen familie ohne migrationshintergrund und einer irakischen asozialen familie, wenn sie ein familienmitglied umbringen? klaro, die religion! das motiv und die vorgehensweise mögen jeweils die gleichen sein, die beschreibung in justiz und medien ist aber unterschiedlich. das ist der skandal! es gibt wissenschaftliche untersuchungen zum yeziden und sog. ehrenmorden, fazit ist jedes mal, dass es so etwas nicht per se bei yeziden gibt, so wie bei allen anderen gruppen auf der welt ebenso nicht.

    aber kulturell motivierter ehrenmord, hört sich irgendwie geiler an.

  • I
    Ich

    Wir leben in der Bundesrepublik Deutschland. Hier gelten unsere Regeln und Anschauungen. Wer die nicht mag, muss sich ein Land suchen, wo diese Regeln die er lebt gelten.

    Gute Reise!

  • N
    nihi.list

    Schade, zum Schluss musste ja wieder alles auf die Schuld der Männer reduziert werden.

     

    Mich würde aber mal brennend interessieren, welche Rolle eigentlich die Mütter, Großmütter und Schwestern bei dem Thema Ehrenmord spielen. Wissen sie nichts? Sagen sie nichts und dulden sie nur? Stimmen sie zu? Sind Sie vielleicht sogar Initiatorinnen?

     

    Nein, Frau Oestreich, das Thema Ehrenmord ist kein Thema, das sich so leicht auf den Mann reduzieren lässt, auch wenn dieser eine entscheidene Rolle spielt. Es ist in der Tat, wie Sie selber andeuten, ein kulturelles-religiöses Problem. Und solange der Staat/die Gesellschaft/die Medien diese Probleme aus falsch verstandener Tolleranz nicht klar benennt und dagegen vor geht, solange werden sich solche Dramen wiederholen.