Der Kick fürs Leben

Der Kreuzberger SC Banzai ist einer der erfolgreichsten Karatevereine Deutschlands. Zahlreiche Spitzensportler hat er gefördert – viele davon aus Migrantenfamilien. Doch es geht nicht allein ums Schlagen: Ziel ist es, den Menschen als Ganzes zu fördern

von Andreas Rüttenauer

Im vierten Stock eines Fabrikgebäudes am Kottbusser Damm, direkt über der Woolworth-Filiale, sitzt Veysel Bugur in der Sportschule Banzai und wettert gegen den Kampfsportboom in seinem Bezirk. Bugur ist selbst Karatelehrer: Als aktiver Kämpfer hat er beinahe alles erreicht, was ein Karateka erreichen kann. Sogar Weltmeister war er. Doch mit den Straßenjungs, die einen auf harten Mann machen wollen, kann er nichts anfangen. Er sieht sich als Sportlehrer – und ein wenig auch als Lehrer fürs Leben.

Sein Club, der SC Banzai, ist einer der erfolgreichsten Karatevereine in Deutschland. Immer wieder gelingt es ihm, aus begabten Kindern und Jugendlichen Spitzensportler zu machen. Dafür ist der Verein nun mit dem Grünen Band ausgezeichnet worden, einem mit 5.000 Euro dotierten Preis, mit dem der Deutsche Sportbund besondere Leistungen im Nachwuchsbereich prämiert.

Es hat lange gedauert, bis Bugur, der Leiter des Sportschule und Chef des Clubs, die Bewerbungsunterlagen ausgefüllt hatte. Die Liste mit den Erfolgen seiner Kämpfer ist lang. „Als die mich angerufen haben, um mitzuteilen, dass wir gewonnen haben, waren sie ganz überrascht und haben gefragt, warum wir uns nicht schon früher beworben haben“, erzählt Bugur stolz. Und fügt hinzu: „Aber das ist auch viel Arbeit – und die muss erst einmal gemacht werden.“

Er singt das Lied, das in zahlreichen Klubs angestimmt wird, in denen viel vom Einsatz Einzelner abhängt. Die organisatorische Leitung des Klubs, die Suche nach Sponsoren und das Training – Bugur hat viele Aufgaben beim SC Banzai. Eigentlich müsste er sich auch noch um Öffentlichkeitsarbeit kümmern. Doch dazu bleibt dem Elektroingenieur nur wenig Zeit.

Einzig mit den türkischen Medien ist er zufrieden. Hürriyet, Milliyet und das Wochenmagazin Merhaba berichten regelmäßig über den Verein. Die deutschen Medien kommen nur, wenn die sich ganz großen Erfolge einstellen. Nur nach dem Weltmeistertitel von Alexandra Kurtz im Jahr 2000 waren alle da. Danach verschwand der Karateklub wieder in der Randsportnische.

Karate ist in der Türkei ein äußerst populärer Sport ist. Als Bugur 1992 Weltmeister wurde, so erzählt er, habe sein Name in dicken Lettern vorn auf allen Zeitungen geprangt. Nach dem WM-Titel mit der Mannschaft seien er und seine Mitkämpfer wie Nationalhelden gefeiert worden.

Veysel Bugur studierte seinerzeit in Berlin. Er tat alles, um Studium, Training und die Lehrgänge mit der türkischen Nationalmannschaft unter einen Hut zu bringen. Seit 1995 ist er deutscher Staatsbürger – auch für sein neues Heimatland errang er internationale Erfolge. Der Wechsel der Staatsbürgerschaft war für ihn die letzte Anpassung an seine Umgebung: Bei ihm trainieren viele Jugendliche mit Migrationshintergrund. Die meisten sind deutsche Staatsbürger. „Die haben doch mit der Türkei nichts mehr zu tun, das sind Berliner“, sagt der Trainer.

In der Sportschule Banzai wird Deutsch gesprochen. Ziel des Bugur’schen Trainings ist es, den Menschen als Ganzes zu formen. Das gelinge vor allem, wenn die Eltern die Entwicklung ihrer Kinder als Karateka verfolgen. Dann klappt es auf der Matte gut – genauso wie im Leben. „Alle meine Sportler, die sich bei den deutschen Meisterschaften platziert haben, haben Abitur.“ Darauf ist Bugur fast ebenso stolz wie auf die Medaillen seiner Athleten. „Die sehen doch an mir, wie Studium, beruflicher Erfolg und sportliche Spitzenleistung zusammenhängen“, sagt er. Er sieht sich als Modelltypus für eine gelungene Integration.

Der Bezirk habe das allerdings noch nicht so richtig wahrgenommen. Einmal sei Bürgermeisterin Cornelia Reinauer (Linkspartei) bei einer Vorführung da gewesen, habe sich begeistert gezeigt, danach aber nicht mehr blicken lassen. Unterstützung von Bezirk gebe es kaum. Der SC Banzai nutze nicht einmal – wie es bei anderen Klubs üblich ist – Räume in bezirkseigenen Sportstätten. Er finanziert sein Studio selbst. Dabei helfen Sponsoren. Das sind meist türkischstämmige Gewerbetreibende aus dem Kiez. Deutsche Firmen beäugten den Klub skeptisch, sie hätten nicht selten Vorurteile. So wie einst ein Reporter des Magazins Focus, der auf der Suche nach islamistischen Machojugendlichen in die Sportschule Banzai gestolpert war. Er habe eine ganz andere Geschichte geschrieben, als er vorhatte, sagt Trainer Bugur, nämlich eine Geschichte von Integration durch Sport.