Lebenselixier für Maria

In der zweiten Abfahrt nach ihrem Kreuzbandriss vor elf Monaten kommt Maria Riesch, 21, auf einen beachtlichen neunten Rang und schöpft daraus jede Menge Hoffnung für die Zukunft

AUS LAKE LOUISEELISABETH SCHLAMMERL

Maria Riesch empfand den Blick auf die Anzeigentafel als reinsten Genuss. „Allein wieder einmal Zweite zu sein, wenn du im Ziel bist, ist ein Erlebnis.“ Sie reckte die Fäuste empor, gerade so, als ob ihr der Platz auf dem Siegerpodest nicht mehr zu nehmen wäre. Dabei war es für die 21-Jährige aus Garmisch-Partenkirchen bei der zweiten Abfahrt des Weltcup-Winters nur eine Momentaufnahme, denn die Favoritinnen standen alle noch oben. Aber sie wusste, dass ihr eine gute Fahrt gelungen war. Für ihre derzeitigen Verhältnisse sogar eine sehr gute. Sehr viele Läuferinnen waren dann auch nicht mehr schneller als Riesch, am Ende belegte sie Rang neun.

Es ist ein kleiner Erfolg, dass Riesch schon in der zweiten Abfahrt nach ihrem Kreuzbandriss wieder in den Top Ten gelandet ist, mit nur 77 Hundertstelsekunden Rückstand auf die Siegerin, Lindsey Kildow aus den USA, und damit zumindest die halbe Olympiaqualifikation geschafft hat. Als die Gesamtweltcup-Dritte von 2004 vor einer Woche in Lake Louise angekommen war, hatte sie sich sehr optimistisch ein Resultat unter den besten 15 für die beiden Schussfahrten zum Ziel gesetzt. Davon war sie am Freitag aber noch meilenweit entfernt. Sie war fast zweieinhalb Sekunden langsamer als die Italienerin Elena Fanchini, die vor den beiden Österreicherinnen Michaela Dorfmeister und Alexandra Meißnitzer gewonnen hatte, und musste mit Rang 34 das schlechteste Abfahrtsresultat ihrer Weltcup-Karriere hinnehmen. Es war überhaupt kein guter Tag gewesen für die deutschen Frauen, als Beste in der ersten Abfahrt nach dem Rücktritt von Hilde Gerg belegte Isabelle Huber aus Ruhpolding den 20. Platz.

„Maria fehlt eine Sequenz an Lockerheit“, stellte Cheftrainer Wolfgang Maier fest und fand nach einem längeren Gespräch mit Riesch die Zustimmung seiner Athletin. „Da hat er schon Recht. Es dauert einfach nach einem Kreuzbandriss, bis man sich überwinden kann.“ Die fehlende Sicherheit zog technische Mängel nach sich. So verpatzte Riesch im Training und im ersten Rennen die Einfahrt zum Steilhang. „Einmal war ich zu spät dran, einmal zu früh.“ Am Samstag passte das Timing endlich. Im anspruchsvollen Mittelteil der Strecke fuhr keine so perfekt wie Riesch, da war sie schneller als die drei Erstplatzierten Kildow, Sylvaine Berthod (Schweiz) und Dorfmeister. „Und wenn unsere Serviceleute das Material hier besser in den Griff bekommen hätten, wären wir noch weiter vorne gewesen“, sagte Maier. Riesch verlor am Samstag auf der Gleitpassage nach dem Start fast fünf Zehntel – und damit wohl die Chance auf eine noch bessere Platzierung.

Die 21-Jährige muss nicht nur den Kreuzbandriss, den sie vor elf Monaten erlitten hat, mental verarbeiten. Sie hat eine ganze Reihe von Verletzungen hinter sich, und alle Blessuren passierten nach mehr oder weniger schweren Stürzen. Den Schlusspunkt setzte ein Handwurzelbruch, den sie sich beim Slalomtraining Anfang November in Sölden zugezogen hat, der sie aber dank einer Schiene nicht vom Trainieren abhielt. Der neunte Platz, glaubt Maier, „ist Lebenselixier für Maria. Dieses Resultat gibt ihr Sicherheit.“ Riesch selbst hatte schon in den vergangenen Tagen festgestellt, dass es „kleine Schritte vorwärts“ geht. „Das hier aber ist ein ganz großer“, sagte sie nun.

Dem Deutschen Skiverband könnte nichts Besseres passieren, als dass Riesch schnellstmöglich wieder an die Form von vor zwei Jahren anknüpft, als sie innerhalb von ein paar Wochen drei Rennen in drei verschiedenen Disziplinen gewonnen hatte. Das Vakuum, das Hilde Gerg hinterlassen hat, ist groß. Es gibt derzeit keine andere DSV-Läuferin als Riesch, die die Führungsrolle im Abfahrtsteam übernehmen könnte. Es gibt derzeit nicht einmal eine zweite Läuferin, die beständig unter die Top Ten fahren kann in der schnellsten Disziplin. Das öffentliche Interesse konzentriert sich deshalb ganz auf Riesch. Maier fürchtet, diese Fokussierung könnte ihr schaden. „Jeder rennt ihr hinterher, aber man muss ihr einfach Zeit geben, dann kommt sie schon wieder.“ Vielleicht sogar schneller als erwartet.