SOUNDTRACK

Mit stoischer Beharrlichkeit hat Jonathan Jeremiah sein Ziel immer schon verfolgt: Seine erste Gitarre hat der Londoner einfach aus dem Musikraum seiner Schule geklaut und sich damit jahrelang auf dem Dachboden des engen Familiendomizils aus der tristen Realität herausgespielt. Bis er überzeugt war, dass seine Musik unbedingt auf die Bühne gehört. Absolut überzeugt. Sieben Jahre hat er dann unermüdlich an seinem gerade mal halbstündigen Debütalbum gebastelt. Das macht satte 85 Tage pro Minute. Im August vorletzten Jahres ist die lang gereifte Platte bei Island erschienen. Und heißt folgerichtig „A Solitary Man“. Weil der Scott Walker- und John Martyn-Fan in all den Jahren die Zügel nicht einmal aus der Hand gegeben hat: statt die Streicher einfach aus dem Keyboard zu zaubern, musste unbedingt das renommierte 24-köpfige Heritage Orchestra, das unter anderem schon mit Dizzee Rascal, Amon Tobin, Mike Patton oder Jamie Cullum zusammengearbeitet hat, ins kleine Analog-Studio in Dollis Hill, also: Extra-Schichten als Wembley-Stadion-Wache – mit jeder Nacht konnte der Mann mit der tiefen Stimme einen weiteren seiner Musiker bezahlen. Das Ergebnis konnte sich dafür auch hören lassen: statt des typischen Bärtiger-Barde-zupft-Folkiges-auf-der-Gitarre-Einheitsbreis gab es einen überraschend souveränen und entsprechend von der britischen Kritik ausgiebig gefeierten Ausflug in die 60er und 70er: mal intim und minimalistisch, mal opulent arrangiert, mal mit Cat Stevens im Herzen, mal eher mit Marvin Gaye. Etwas schneller ist nun sein zweites Album „Gold Dust“ entstanden: Das stellt er schon am Sonntag vor. So, 17. 3., 20 Uhr, Gruenspan, Große Freiheit 58

Wenn Daniel Glatzel, 26-jähriger Chef des 18-köpfigen Berliner Andromeda Mega Express Orchestra, vom Zufall spricht, hört sich das an, als rede er über eine Liebesbeziehung. Offen und unverbindlich müsse man annehmen, was entstehe, „so wie eine solche Verbindung eben ist“. Nicht zu viel werten und einsortieren. Aber feinfühlig genug rangehen, dann nämlich steht der Reise nichts mehr im Weg: auf in „ungeahnte Gebiete“, zu „neuen Zuständen“, namentlich: zur „Wahrhaftigkeit“. Ganz praktisch sieht das so aus: Der junge Komponist – Sohn einer aus Korea stammenden Opernsängerin, der in Seoul Tenorsaxofon spielen gelernt und seine ersten Auftritte mit koreanischen Jazzmusikern hatte, bevor er in München beim Bariton-Saxofonisten Thomas Zoller und schließlich an der Berliner Hochschule für Musik Hanns-Eisler weitergelernt hat –, schmeißt den gesamten Inhalt seiner Festplatte in die Playlist und drückt: Shuffle. Und dann folgt Bela Bartók auf schäbige Dauerwerbesendungsuntermalung, marokkanische Volksmusik, den Jazz-Trompeter Clifford Brown, Peaches und natürlich Sun Ras Arkestra. Und ab und an passen die Versatzstücke eben einfach zusammen. Ohne dass Glatzel versteht, warum. Aber er nimmt an. Er liebt es, unter Fremdkörpern zu sein. Damit auf der Bühne ebenfalls alles zusammenpasst, muss der Zufallsfreund aber doch ein wenig entrandomisieren. Der Kapitän des kosmischen Mega-Expresses schreibt nicht nur sämtliche Stücke, spielt Saxofon und Klarinette und dirigiert. Sondern plant auch die Auftritte, etwa gemeinsam mit den Weilheimer Indie-Helden The Notwist, für dessen Album „The Devil You + Me“ Glatzel die Streicher arrangiert hat, – und koordiniert dafür 18 Musiker_innen unterschiedlichster Provenienz. Schon die richtige Aufstellung wird da monatelang akribisch ausgetüftelt. Schließlich soll jeder den größtmöglichen Freiraum bekommen, wie beim alten Duke: man hört jeden Einzelnen – und das Kollektiv als Ganzes. Heute Abend sind die Berliner Sononauten mit ihrem Projekt „Apokalypse wow!“ im Rolf-Liebermann-Studio zu Gast. Zu hören gibt es da etwa die Bandkomposition „Mozart vs. Zufallswurst“: Mit einem Kompositionsprogramm von Saxophonist Johannes Schleiermacher wird der Österreicher durch Einstreuung von Zufall zersetzt, dazu erklingt ein „unbekanntes Konsolen-Boxspiel“ aus den 80ern. Do, 14. 3., 20 Uhr, Rolf-Liebermann-Studio, Oberstraße 120 ROBERT MATTHIES