Vom Kinderzimmer in die Studibude

SPRECHGESANG Schon als Rapper des Duos Kinderzimmer Productions hat Henrik von Holtum alias Textor sich nicht um Genregrenzen geschert. Auf seinem Album „Schwarz Gold Blau“ erzählt er nun die Geschichte einer fiktiven Jugend. Mit Tanzorchester statt Samples

Nicht selten klingt das sonore Säuseln und Sprechsingen tatsächlich nach Max Raabe

VON ROBERT MATTHIES

Eine ganz eigene Definition von Hip-Hop hat Henrik von Holtum alias Textor schon als Rapper des Ulmer Duos Kinderzimmer Productions Mitte der 90er gehabt: Verspielter und im Bezug auf die so verehrte Tradition à la Boogie Down Productions versierter, als man es in der damaligen deutschsprachigen Hip-Hop-Landschaft bis dahin gewohnt war, waren von Beginn an die Samplebasteleien von Sascha Klammt alias DJ Quasi Modo. Und schneller, virtuoser, komplizierter – und mit seiner mitunter Gymnasiallehrer-haften Dauerverwendung von Fachbegriffen und Fremdwörtern eben auch elitärer – waren von Beginn an Textors Sprachspiele.

Das hat schon damals dem Feuilleton besser gefallen als jenen „minderjährigen fraternisierenden Fubu-Zombies“, zu denen man eben ausdrücklich die Alternative sein wollte. Zur „einzig wahrhaften und bedeutenden deutschen Hip-Hop-Formation“ kürte die F.A.Z. die schwäbischen Sandkastenfreunde. Und „Tanzmusik für die reifere Jugend“ hieß das schon ausdrücklich auf dem zweiten Album „Im Auftrag ewiger Jugend und Glückseligkeit“.

Ein bisschen beleidigt waren Klammt und von Holtum aber schon, dass die hiesige Szene den Output der Ulmer all die Jahre über weitgehend ignoriert hat. Vor fünf Jahren dann kam mit großem Orchester schließlich der endgültige Abschied vom Hip-Hop. Seitdem verdient der studierte Kontrabassist sein Geld vorwiegend mit Radiofeatures, Theatermusik oder als Dozent an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung.

Und auch sein jetzt bei Trikont erschienenes erstes Solo-Album „Schwarz Gold Blau“ spricht deutlich eine ganz andere Musiksprache: Statt Samples erklingt nun vor allem ein „tiefergelegtes Tanzorchester“. Das fünfköpfige Ensemble Akkordsport untermalt die ausdrücklich nicht Konzeptalbum-Konzept sein wollende Geschichte eines fiktiven Jugendlichen zwischen Disco-Vorglühen in der Hauptstadt und Sehnsucht nach der Heimat in der Provinz dezent mit schleppend melancholischem Salonorchester-Klang irgendwo zwischen Tom Waits, den Sternen, 20er-Jahre-Schlager und Kunstlied. An alte Zeiten erinnert da gerade noch das swingende „Louis Vuittons Tattoo“, nicht selten aber klingt das sonore Säuseln und Sprechsingen tatsächlich nach Max Raabe.

Textlich hört man deutlich den vor sieben Jahren nach Berlin gezogenen Schwaben: Ein dadaistischer Rap über deutsche Provinzstädte steht da neben dem Besingen Kreuzberger Nächte und der Schilderung des deprimierenden Herumstehens vorm Schlecker-Markt. Der Kinderzimmer-Rapper ist in der Studibude angekommen.

■ Hamburg: Do, 14. 3., Kampnagel, Jarrestraße 20; Bremen: Fr, 15. 3., 20 Uhr, Lila Eule, Bernhardstraße 10