Internationaler Frauentag: Die Unsichtbaren: Besser in der Stadt

Im jungen Szeneviertel in Hamburg-Ottensen ist Ilo S. 69 Jahre alt geworden. Sie lebt allein – und ist froh darüber.

lo S. hat sich im Kneipenviertel Hamburg-Ottensen eine Wohnung gekauft. Dort wird sie alt. Bild: Kristiana Ludwig

HAMBURG taz | Ich möchte niemandem zur Last fallen. Möchte auf keinen Fall bei meiner berufstätigen Tochter wohnen. Ich weiß, was an Pflege notwendig ist für jemanden, der nicht mehr kann. Ich sage allen, sie sollen mich von der Brücke stoßen, wenn ich dement werde. Aber solange ich noch was vom Leben mitkriege – und wenn ich nur im Rollstuhl sitze und mit irgendwelchen Leuten Karten kloppe – habe ich noch Freude am Leben. Ich habe mich noch nie gelangweilt.

Ich bin 1985 nach Ottensen gezogen. Damals war ich in dem Alter, das hier absolut in war. Dann bin ich hier älter geworden. Ottensen ist etwas Besonderes. Hier sind Junge und Alte, Dicke und Dünne, Ausländer und Sozialhilfeempfänger und unglaublich viele Lehrer und Künstler. Das liebe ich. Ich kann hier rumlaufen, wie ich will. Ich könnte mir auch einen lilafarbenen Hut aufsetzen, da würde sich keiner umdrehen.

Mit den Kindern habe ich in einem Hochhaus im Stadtteil Lurup gewohnt. Da war nichts los. Höchstens eine kleines Restaurant an der Ecke. Das war nicht meine Welt. Ich wohnte dort sehr ungern.

Meine Tochter hat mich hierher gebracht. Sie sagte: „Da musst du unbedingt hinziehen. Das ist dein Stadtteil. Da ist an jeder Ecke was los und man kann auf der Straße sitzen und Kaffee trinken.“ Und das habe ich auch sehr häufig gemacht.

Nun wohne ich mitten in Hamburg und das tue ich auch sehr bewusst. Ich habe mal in dem kleinen Ort Jesteburg in Niedersachsen gewohnt und hätte dort für das gleiche Geld ein kleines Haus kaufen können. Da habe ich überlegt: Wenn du älter wirst, ist es besser, in der Stadt zu leben. Heute habe ich dort noch eine Freundin. Die hat kein Auto, die kommt da schlecht weg, Busse fahren zu selten. Aber hier gibt es genug Angebote in der Nähe, auch für ältere Leute.

Als ich jung war, war mein Vater der Auffassung, dass Mädchen nur Hauptschule brauchen. Die Realschule war schon ein Kompromiss. Das habe ich nachgeholt, als meine Kinder älter waren. Ich habe mit 33 Jahren mein Fachabitur nachgemacht und Sozialpädagogik studiert. Nebenbei habe ich als Nachtschwester gearbeitet. Das habe ich durchgestanden.

Als meine beiden Töchter mit 18 auszogen, hab ich erstmal tief durchgeatmet. Ich war glücklich, nur noch für mich allein verantwortlich zu sein. Ich hatte immer alles übernommen. Mein Mann hat sich früher um nichts gekümmert. Mit dem Haushalt hatte ich die Doppelbelastung. Er war Drucker gewesen, hat auch studiert und war sehr aktiv außerhalb des Hauses. Betriebsrat, Kneipe. Es trat Frieden ein, als er dann endlich weg war.

Allein fühle ich mich gar nicht. Ich genieße es, wenn ich mal den ganzen Tag im Nachthemd rumlaufen kann. Aber das kommt kaum vor. Ich habe drei Jahre Theater gespielt. Altentheater für Amateure. Ich träume immer wieder davon, zu schauspielern, das zieht sich durch mein Leben.

Ansonsten male ich, gehe zur Gymnastik und mache einen Spanischkurs. Aber ganz langsam. Wir sind alle nicht so fleißig. Das meiste mache ich im Seniorentreff. Ich klebe auch Unmengen von Fotoalben. Sowas mache ich gern.

Ich habe immer sehr viel Wert auf Freundschaften gelegt. Ich wohne ja nicht in Hannover, wo meine Familie lebt. Ich habe den Kontakt zu allen Freundinnen, die ich je hatte, gepflegt. Freunde waren mein Netz. Das war mir wichtig, nicht nur weil ich wusste: Ich brauche das.

Einen Partner an der Seite? Ich habe oft darüber nachgedacht. Aber erstens stehen die nicht gerade Schlange vor der Tür. Also den Hals hat sich nach mir noch keiner umgedreht. Und sollte mal jemand ein bisschen geschaut haben, dann war es garantiert einer, den ich auch nicht mit dem Hintern angeguckt hätte. Es ergab sich also nicht. Ich bin auch nicht losgezogen.

Ich habe wohl nach der Ehe ein paar kleine Freundschaften gehabt und auch mal eine richtige Liebe. Aber das dauerte nur zwei Jahre. Danach wollte ich mich nie wieder verlieben. Diese Trauer anschließend. Ich habe so furchtbar gelitten nach der letzten Trennung. Da war ich 43. Nie wieder. Das Thema ist durch.

Natürlich fehlt einem manchmal ein Partner. Aber wenn ich mir vorstelle, wie der mich einschränken würde – wenn man länger alleine lebt, hat man ja seine Macken. Nein. Das kommt überhaupt nicht mehr in Frage.

Meine Freundinnen sind fast alle Singles. Mit einem Paar war ich befreundet. Das ist gerade verstorben. Das hat mir sehr weh getan. In meinem Alter beginnt es, dass die wegsterben.

Ich telefoniere jeden Tag. So wie andere nach Hause kommen und erzählen, rufe ich Freundinnen an. Erzähle, was ich so gemacht habe am Tag. Das ist okay.

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