Trommeln, Theater und Transformation

FESTIVAL Die MaerzMusik weitet in diesem Jahr den Blick in Richtung Naher Osten, bringt Dramatisches auf die Bühne und fühlt den elementaren Puls der Musik

Das internationale Festival für aktuelle Musik der Berliner Festspiele thematisiert in diesem Jahr drei musikalische Felder, die mit den Stichworten „Schlagwerke“, „[Um]Brüche: Türkei – Levante – Maghreb“ und „Minidrama – Monodrama – Melodrama“. Zu den Veranstaltungsorten zählen das Haus der Berliner Festspiele, das Radialsystem, das Kino Delphi sowie der Kammermusiksaal der Philharmonie und das Berghain.

■ MaerzMusik: 15.–24. 3., Eintritt: 10–25 €, Infos & Programm: www.berlinerfestspiele.de

VON TIM CASPAR BOEHME

Die Organisatoren von Festivals wie MaerzMusik sind in gewisser Hinsicht nicht zu beneiden. An irgendeinem Punkt zumindest waren sie schon mal mit der leidigen Frage konfrontiert: Wie sollen wir die Musik jetzt nennen? Neu? Ernst? Wahrhaftig?

Die Schwierigkeit kommt daher, dass im 20. Jahrhundert bei komponierter Musik, die mit der Klangsprache vergangener Jahrhunderte gebrochen hatte, gern von „zeitgenössischer“ Musik die Rede war. Ein Begriff, der stark ideologisch konnotiert ist, was sich unter anderem darin äußerte, dass Komponisten, die zufällig gerade nicht „zeitgenössisch“ schrieben, von den Kollegen mitunter heftig abgestraft wurden. Dass diese Bezeichnung bei den Berliner Musikfestivals inzwischen aus der Mode gekommen ist, kann man auf jeden Fall als Fortschritt betrachten. „Neue Musik“ – auch kein ganz unbelasteter Terminus – lautet zwar noch die offizielle Sprachregelung für das Festival Ultraschall im Januar, doch schon sein unmittelbarer zeitlicher Nachbar CTM bevorzugt das Adjektiv „abenteuerlich“. Bei der MaerzMusik hingegen, deren zwölfte Ausgabe am Freitag eröffnet, hat man sich auf „aktuelle Musik“ verständigt.

Das unterscheidet sich auf den ersten Blick nur unwesentlich von „neu“, doch genau genommen ist der damit erhobene Anspruch ein viel höherer. „Neu“ ist alles, was es noch nicht so lange gibt, „aktuell“ aber sind im Grunde nur solche Dinge, die in irgendeiner Form für die Gegenwart etwas bedeuten. MaerzMusik setzt damit nicht ausschließlich auf das Tonschaffen jüngeren Datums, sondern auch auf Dinge, die womöglich ein wenig älter sein können, vorausgesetzt, sie sind genau in diesem Moment relevant.

So gesehen, kann die Themenwahl durchaus einige Aktualität für sich behaupten: Einer der Schwerpunkte steht in diesem Jahr unter der Überschrift „[Um]Brüche: Türkei – Levante – Maghreb“ und lenkt damit den Blick auf Regionen, in denen sich mehrheitlich gewaltsame politische Umwälzungen vollzogen haben oder immer noch vollziehen – in Syrien mit immer trostloserem Blutvergießen.

Es gibt auch Älteres, vorausgesetzt, dass es genau in diesem Moment relevant ist

„Hasretim. Eine anatolische Reise“ heißt die erste Konzertinstallation zum Thema am Mittwoch, ein Werk des deutsch-türkischen Komponisten Marc Sinan, bei dem die Dresdner Sinfoniker im Kammermusiksaal auf das Hezarfen Ensemble Istanbul treffen. Später, am selben Abend, kann man im Berghain konzeptuelle Improvisationen des libanesischen Duos Mazen Kerbaj & Sharif Sehnaoui und eine gemeinsame Komposition des türkischen Gitarristen Erdem Helvacioglu und des Geigers Ulrich Merten hören. Der Schwerpunkt wird bis zum 24. März fortgesetzt. Weniger politisch, aber dafür zeitlos gültig präsentiert sich das Thema „Schlagwerke“, zu dem die Komposition „Timber“ des US-Amerikaners Michael Gordon zählt. Dieses Werk aus dem Jahr 2009 entwickelt rhythmische und klangliche Vielfalt allein aus unterschiedlich langen Holzbalken. Am Freitag spielt das Slagwerk Den Haag, in dessen Auftrag das Stück entstand, die deutsche Erstaufführung im Haus der Berliner Festspiele. Dort bieten anschließend die Schlagzeugvirtuosen Robyn Schulkowsky und Joey Baron Werke des New Yorker Komponisten Christian Wolff und eigene Improvisationen dar.

Aktuelle Ausformungen des Musiktheaters schließlich versammelt die Reihe „Minidrama – Monodrama – Melodrama“, die am Samstag mit der Uraufführung von „Pills or Serenades“ des in Berlin lebenden Brasilianers Chico Mello anhebt. Ebenfalls mit dabei: Minimalismus-Meister Steve Reich und Bery Korot mit ihrem Video-Oratorium „The Cave“ oder der Chicagoer Komponist Gene Coleman, der am Montag im herrlich morbiden ehemaligen Stummfilm-Kino Delphi sein „Spiral Network“ für Film und Ensemble uraufführen wird. Dass im Programm übrigens von „zeitgenössischem Musiktheater“ die Rede ist, soll an dieser Stelle unerwähnt bleiben.