piwik no script img

Hausbesuch„Ich bin so gerne draußen“

In ihrem neuen Roman schickt Alexandra Kuitkowski eine Familie aufs Land und lässt ein Dorfkind die Welt betrachten.

Kann ganz schön trostlos sein: Neubausiedlung auf dem Land. Bild: dpa

BUXTEHUDE taz |Der Hund hat seinen Ruheplatz gefunden, der Kaffee ist frisch. Draußen ist es noch hell, aber bald dürfte die Dämmerung einsetzen. „Muss ich jetzt was Kluges sagen?“, fragt Alexandra Kuitkowski. Nein, das muss sie nicht. Sie hat gerade ein schönes, überaus kluges Buch vorgelegt – eines, das beim Lesen die Zeit stehen bleiben lässt. „Die Welt ist eine Scheibe“ erzählt von Wiebke und ihrer Schwester und von beider Eltern. Und von den Strassers, die eines Tages ein neu gebautes, sehr modernes Haus am Dorfrand beziehen. Vater Strasser fährt einen Volvo-Geländewagen in Angeber-Anthrazit.

Drohendes Verschwinden

Es muss in dem Dorf, in dem der Roman spielt, so aussehen, wie dort, wo Alexandra Kuitkowski selbst lebt: ein kleines Dorf bei Buxtehude, längst eingemeindet. Nicht mehr selbstständig – „leider“, sagt Kuitkowski. Drum herum Felder, Knicks, Wiesen, ein bisschen Wald, noch.

„Das war der eine Anlass, das Buch zu schreiben“, erzählt Kuitkowski: „Wie das Land zersiedelt wird, wie überall entlang der Dörfer diese Neubaugebiete mit gesichtslosen Einfamilienhäusern entstehen, die die Dorfstruktur zerstören und die keiner toll findet – außer die, die damit Geld verdienen.“ Und dann säßen die Leute am Ende „in so einer Siedlung auf dem platten Land, dabei haben sie doch von einem Reetdachhäuschen am Fluss geträumt“, sagt sie. „Jeden Tag machen in Niedersachsen vier Höfe dicht, weil sie sich nicht mehr rentieren. Vier Höfe, das muss man sich mal vorstellen.“

Alexandra Kuitkowski selbst kommt aus der Gegend, wurde 1973 in Buxtehude geboren. Da kennt sie natürlich umgekehrt den Wunsch vieler Landbewohner, einfach wegzugehen: „Als Kind dachte ich, wenn ich groß bin, wohne ich in San Francisco, denn man kann nicht in Buxtehude leben. Buxtehude – wie das schon klingt!“ Sie hat dann auch in San Francisco gelebt, in Los Angeles, in Hollywood, aber auch im Harz. Und in Hamburg: „Eine schöne Stadt, ich mag sie, aber es waren mir zu viele Häuser.“

Am Ende ist sie zurückgekehrt und kann sich vorstellen zu bleiben: „Ich lerne immer mehr den Charme des Ankommens zu schätzen. Es ist für mich unvorstellbar, nie mehr herzukommen.“ Es passe auch zu ihr als Autorin, denn sie sei so schnell beeinflussbar und leicht abzulenken: „Ich hab das immer cool gefunden, wenn ich mich mit Hamburger Autoren traf. Die sagten: Zum Schreiben, ach, da gehen wir ins Café, weil um einen herum, da tobt das Leben. Das hab ich auch mal probiert, aber mehr als drei E-Mails schreiben ging gar nicht.“

Sie lacht. „So ein Autorenstammtisch einmal die Woche, das würde mich ungeheuer zurückwerfen.“ Und als die Autorenkollegen angefangen hätten, „von ihren tollen Blogs zu erzählen“, erinnert sie sich, „da hat es ein halbes Jahr gedauert, bis ich merkte, dass die nicht von einem Block sprachen, auf den man schreibt“.

Sie sieht aus dem Fenster, wo gerade wie bestellt ein Trecker vorbeituckert und sagt: „Ich bin so gerne draußen. Ich habe hier das Flusstal, die Felder, den Wald, ich gehe ein, zwei Stunden spazieren und begegne niemandem. Schreiben hat mit innerer Einkehr zu tun. Man begibt sich in eine andere Welt, und in die kann ich mich nur begeben, wenn die Welt, die mich umgibt, nicht gar so laut ist.“

Hart, aber anders

Dabei ist das Land nicht idyllisch. Dort, wo sie wohnt nicht, und im Roman erst recht nicht: Da flieht Wiebke auf einen Baum, kann nicht weg, hat aber alles im Blick, die Tragödien, das Glück, den Alltag: „Es gibt kein Idyll. Es gibt nur eine Idylle im Moment. Das Landleben ist genauso hart wie das Leben in der Stadt, es ist nur anders hart und man muss eben aufpassen, das man nicht strauchelt und von der Scheibe fällt.“

Die Erde ist keine Kugel, wo man immer wieder da ankommt, wo man losgelaufen ist, wie wir alle denken, das weiß Kuitkowskis Heldin Wiebke, wie sie da auf ihrem Baum sitzt. Es geht in dem Buch auch um den Tod. Eines der Kinder wird sterben. Und das wird die beiden Familien, die Stadtfamilie und die Landfamilie, noch mal auf eine ganz existenzielle Weise trennen wie aneinander binden.

„Die Welt ist eine Scheibe“ ist unter Kuitkowskis vollem Namen erschienen, während ihre bisherigen Romane, die Krimis „Blaufeuer“ und „Wiedergänger“ den Autorinnenamen Alexandra Kui tragen. Der stammt noch aus der Zeit, als Kuitkowski Journalistin war, unter anderem bei der Goslarschen Zeitung: „Mit ’Kui‘ hab ich damals die Polizeimeldungen, also Blaulicht/Rotlicht, unterzeichnet. Den freieren Texten war mein eigentlicher Name vorbehalten.“

Wie hat sie es geschafft, in ihrem Roman so viele Erzählräume zu öffnen, in der Handlung behende vor- und zurückzuspringen und ihn gleichzeitig sprachlich so dicht zu gestalten? „Das Ergebnis harter Arbeit; jeden Satz überprüfen, ob er wirklich nötig ist.“ Die erste Fassung von „Die Welt ist eine Scheibe“ hatte 100 Seiten mehr – die es aber nicht brauchte. „Warum soll ich einen dicken Roman schreiben? Nur weil ich es kann? Ich mag es auch nicht, wenn bei einem Konzert ein Musiker ein endloses Solo vorlegt – einfach weil er es kann.“

Die Island-Erfahrung

Ach ja, Musik: Auch damit hat sie Erfahrungen gesammelt, auf Island. „Ich hatte da mal eine Band“, sagt sie. Eine Band auf Island? „Das war locker“, erzählt sie. „Die Isländer haben alles bezahlt, das Rüberfliegen, das Sichtreffen, das Immer-wieder-Ausprobieren im Studio. Und wenn ich sagte: Ach, ich würde es gerne doch mal mit drei Bläsern probieren, dann standen am nächsten Morgen drei Bläser vor der Tür.“

Dann kam die Bankenkrise: „Wir haben immer wieder angerufen und gefragt: Na, seid ihr auch pleite? Und die: Nee, wir nicht. Bis sie eines Tages sagten: Ja, jetzt sind wir auch pleite.“ Vorbei war es mit dem Hinfliegen, dem Alles-noch-mal-neu-Probieren. Die gemeinsame CD wurde dann nur noch in nur einer kleinen Stückzahl gepresst. Aber viel gelernt habe sie bei alldem, sagt Kuitkowski.

Es gebe hier bei ihr in der Nähe eine Senke, eine Wiese, erzählt sie. Dort habe man einen schönen Blick über die Gegend, weshalb sie gerne dort sei. „Neulich hat mich die Bäuerin, der die Wiese gehört, angesprochen und mir gesagt, das sei für sie der schönste Ort der Welt und deswegen hätte sie hier einen alten Stuhl hingestellt und ich könne da gerne sitzen. Das hat mich wahnsinnig beeindruckt: dass sie mich eingeladen hat und das mit dem ’schönsten Ort der Welt‘. Da denkt man doch an alles mögliche, aber nicht an eine Senke bei Buxtehude.“ Sie nimmt noch einen Schluck Kaffee. „Vielleicht geht es im Leben darum: einen Ort zu finden, wo man seinen Stuhl hinstellt.“

Alexandra Kuitkowski, „Die Welt ist eine Scheibe“, Hoffmann und Campe 2013, 144 S., 17,99 Euro. Lesungen: 11. April, 20 Uhr, Stadtbibliothek Buxtehude; 16. Mai, 19.30 Uhr, Hemmoor, Buchhandlung Flaig. „Der Tote im Watt“ nach dem Alexandra-Kui-Roman „Blaufeuer“ läuft am 8. April um 20.15 im ZDF. Die CD „Sturmland“ ist 2009 beim Label Töfrahellirinn erschienen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!