Cameron geht in die Offensive

SYRIEN Der britische Premier spricht von der Möglichkeit, einseitig die Rebellen zu bewaffnen – ein Verstoß gegen das EU-Embargo

Innenpolitische Motive und Konkurrenz mit Frankreich beflügeln Cameron

VON ANDREAS ZUMACH

GENF taz | Der britische Premierminister David Cameron hat öffentlich die Möglichkeit von Rüstungslieferungen seines Landes an die Rebellen in Syrien erwogen – notfalls im Alleingang und unter Verstoß gegen das von der EU verhängte Waffenembargo. Sollte es seiner Regierung „nicht gelingen, unsere europäischen Partner von der Notwendigkeit von Waffenlieferungen zu überzeugen, ist es nicht undenkbar, dass wir die Dinge auf unsere Art machen müssen, um den Wandel in Syrien zu unterstützen und das dortige Blutbad zu beenden“, erklärte Cameron am Dienstag vor dem Parlament in London.

Beweist dieser Vorstoß, dass der britische Premier stärker als seine AmtskollegInnen in anderen europäischen Hauptstädten besorgt ist wegen der Menschenrechtsverletzungen in Syrien? Für diese Annahme liefert die bisherige Politik der von ihm geführten konservativ-liberalen Regierungskoalition keine Indizien. In erster Linie verfolgt Cameron mit seiner Ankündigung ein innenpolitisches Kalkül: die antieuropäischen Rebellen in seiner konservativen Partei, die ihm mit immer drängenderen Forderungen nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU das Leben schwer machen, zu beruhigen. Dafür spricht auch die Diktion, mit der Cameron den eventuellen Alleingang seines Landes ankündigte: „Wir sind immer noch ein unabhängiges Land, wir können eine unabhängige Außenpolitik betreiben.“

Dem britischen Premier geht es aber auch darum, die internationale Rolle und das sicherheitspolitische Profil seines Landes im Konkurrenzverhältnis zum „wichtigsten europäischen Partner“ Frankreich wieder zu stärken. Auf diesem Gebiet hat Paris London in den letzten zehn Jahren zunehmend den Rang abgelaufen.

Die gemeinsamen Militärmissionen der EU in der Demokratischen Republik Kongo ab 2003 waren wesentlich von Frankreichs Streitkräften geprägt. Im Frühjahr 2011 ergriff Frankreichs damaliger Präsident Nikolaus Sarkozy in der Nato und im UNO-Sicherheitsrat die Initiative für den Krieg gegen das Gaddafi-Regime in Libyen. Und im Januar dieses Jahres intervenierten französische Streitkräfte allein, aber mit politischer Unterstützung aus allen anderen EU-Hauptstädten in Mali.

Gerade die Fälle Libyen und Mali zeigen aber auch die Risiken von Waffenlieferungen. Ein Großteil der Waffen, die westliche und andere Staaten ab Frühjahr 2011 an die Rebellen in Libyen geliefert hatten, fielen nach dem Sturz Gaddafis in die Hände von Kämpfern und islamistischen Gruppen, gegen die jetzt in Mali Frankreich und einige westafrikanische Staaten Krieg führen. Im syrischen Mehrfrontenbürgerkrieg ist schon heute kaum mehr überschau- und kontrollierbar, in den Händen welcher Akteure Rüstungslieferungen aus dem Ausland landen.