CDU: Streit erlaubt

VON LUKAS WALLRAFF

Das Schweigegebot ist aufgehoben. Die Union darf endlich darüber diskutieren, warum sie bei der Bundestagswahl so enttäuschend abgeschnitten hat. Heute um 9 Uhr steht die „Wahlanalyse“ ganz offiziell auf der Tagesordnung im CDU-Vorstand. Zweieinhalb Monate lang hatten sich die Spitzenkräfte der Union auf die Zunge beißen müssen, weil Parteichefin Angela Merkel es so wollte. Die Gründe für den Misserfolg sollten erst erörtert werden, wenn eine neue Regierung feststeht, verfügte Merkel direkt nach der Wahl. Mit Erfolg. Bis auf wenige Ausnahmen, wie Friedrich Merz, blieb die Union ruhig. Erst jetzt, da Merkel bereits als Kanzlerin im Amt ist, gibt es Kritik.

So bemängelte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und CDU-Vize Jürgen Rüttgers am Wochenende die „soziale Schieflage“ des Merkel’schen Wahlkampfs. CSU-Generalsekretär Markus Söder ging noch weiter und stellte fest, die Union habe wie eine „neoliberale Partei ohne soziale Verwurzelung“ gewirkt. Das klingt hart. Die meisten CDU-Politiker, die sich bisher zu Wort gemeldet haben, beschäftigten sich allerdings nicht mit programmatischen Details, sondern vor allem mit dem Erscheinungsbild der Partei im Wahlkampf.

Forderungen nach einer inhaltlichen Neuausrichtung wurden bisher kaum erhoben. Selbst der Sprecher der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Gerald Weiß, hielt sich mit konkreten Forderungen nach Änderungen im Unionsprogramm zurück und beließ es bei eher allgemeinen Formulierungen. Es gebe „einen Bedarf, das sozialpolitische Profil der Union zu stärken“, sagte Weiß der taz. „Dass es da Defizite gab, lässt sich nicht bestreiten. Wenn man bei den Arbeitern und Angestellten verloren hat, muss das ja objektive Gründe haben.“

Für Weiß hat es „vor allem ein Kommunikationsproblem“ gegeben: „Wir haben unsere sozialpolitischen Anliegen nicht deutlich genug herausgestellt.“ Als Beispiel nannte Weiß die angestrebte Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital. „Davon hat leider kein Mensch geredet.“ Auch im Nachhinein steht der neue Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales zu den heftig umstrittenen Programmpunkten der Union wie die Einführung einer Kopfpauschale im Gesundheitswesen: „Die Leute haben das leider als zu schwierig oder ungerecht empfunden. Das ist es aber nicht. Eine Umverteilung bei den Gesundheitskosten über Steuern ist viel gerechter als das bestehende System.“ Alles in allem glaubt Weiß, „dass unser Programm im Wesentlichen richtig war, weil es die notwendigen Folgerungen gezogen hat aus der Lage, wie wir sie in Deutschland haben“.

Auch jene CDU-Größen, die demnächst Landtagswahlkämpfe zu bestreiten haben, üben vor allem Stilkritik. So sagte der rheinland-pfälzische CDU-Spitzenkandidat Christoph Böhr der Bild am Sonntag: „Um die CDU wieder über 40 Prozent zu bringen, müssen wir in Zukunft weniger betriebswirtschaftlich argumentieren.“ Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger forderte einen Drei-Punkte-Plan für erfolgreiche Wahlkämpfe. Dazu gehöre ein Zukunftsentwurf, dem die Menschen vertrauen könnten, eine Reformpolitik, die sozialen Zusammenhalt gewährleiste, und eine Ansprache, die „die Herzen der Menschen erreicht“.

Der saarländische Regierungschef Peter Müller erklärte der Welt, der Union hätten „Visionen und eine stärker emotionale Ansprache der Wählerinnen und Wähler gefehlt“.

Persönliche Angriffe gegen Merkel vermieden sämtliche CDU-Politiker. Auch ihr mutmaßlich schärfster Rivale Christian Wulff ermahnte die Partei zur Geschlossenheit: „Mit Angela Merkel haben wir Wahlkämpfe gemeinsam geführt, entschieden und verantwortet“, sagte Wulff. (mit AFP)

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