Lodernder Gipfelsturm

Die kroatischen Tennisprofis gewinnen erstmalig den Davis Cup und erhoffen sich Eintrag in die Geschichtsbücher

BRATISLAVA taz ■ Auf dem Mount Everest züngelten bengalische Feuer, und der blasse, ältere Herr da oben sah aus, als könne er einen Schluck Sauerstoff gebrauchen. Die Jungs aus seiner Seilschaft tanzten und sangen; die Wangen rot, die Haare wirr. „Das ist ein historischer Moment“, erklärte der ältere Herr gerührt, und sein bester Mann im Team ergänzte, was sie da geschafft hätten, würde in den Geschichtsbüchern geschrieben stehen. Ja, es war ein großer Tag, an dem das kroatische Tennisteam unter der Leitung ihres Kapitäns Niki Pilic in Bratislava mit einem 3:2-Sieg gegen die Slowaken den Davis Cup gewann. Ein Abend voller Emotionen, voller wunderbarer Bilder, begleitet und getragen von bemerkenswerten Fans. Am Ende reckten die slowakischen Fans ein Transparent in Höhe, auf dem sie zum Sieg gratulierten, und die kroatischen Fans sangen für das slowakische Team. Dessen Kapitän, Miloslav Mecir, wusste das auch in der Niederlage zu schätzen. „Möge sich so ein Ereignis oft wiederholen“, sagte er. Selbst dass sich die begeisterten Kroaten die Freiheit nahmen, in einer Halle Feuerfackeln zu entzünden, ward ihnen verziehen; der Rauch verzog sich in Frieden.

Es war kurz vor neun am Sonntagabend, als der junge Mario Ancic mit heißer Hoffnung zusah, wie der letzte Ball seines Gegners Michal Mertinak neben der Linie landete. Als feststand, dass er und sein Team zum ersten Mal in der jungen Geschichte seines Landes den Cup gewonnen hatte. Wie machen sie das bloß, die Kroaten? Dieses kleine Land an der Adria mit nicht mehr als 4,8 Millionen Menschen? Sie haben die besten Handballspieler der Welt, zweimal Olympiasieger, sind Spitze im Basketball, waren 1998 Dritte der Fußball-WM, haben eine überragende Skifahrerin wie Janica Kostelic – und nun auch noch das beste Tennisteam der Welt. Niki Pilic, der die Mannschaft vor fünf Jahren in der dritten Liga übernommen hatte, meinte: „Wir haben einfach ein bisschen mehr Talent für Ballsportarten.“ Was Ivan Ljubicic, sein bester Mann, so nicht stehen lassen wollte. Ein bisschen? „Viel mehr.“ In der Freude über den Sieg hatte Ljubicic die Niederlage in fünf Sätzen gegen Dominik Hrbaty fast vergessen.

Wieder einmal, wie so oft im Davis Cup, spielte der im allgemeinen Turniergeschehen eher unscheinbare Slowake wie ein Großer. Es war für Ljubicic, der mit einem blockierten Nackenwirbel angeschlagen in die Partie gegangen war, die erste Niederlage in diesem Jahr im Davis Cup nach elf Siegen, aber darauf kam es nicht mehr an. Als Hrbaty nach dem Matchball völlig losgelöst von aller Erdenschwere nacheinander Schläger, Hemd und zwei weitere Schläger in die tosende Menge warf, da konnte man ahnen, dass dies der beste Moment für die Slowaken sein würde. Er sei sich völlig sicher gewesen, dass Mario Ancic die Sache zum ersehnten Sieg führen würde, meinte Ljubicic hinterher. Ancic, mit 21 Jahren der Jüngste im Team, war sich nicht so sicher, Vorteile gegen den slowakischen Ersatzmann Michal Mertinak, Weltranglistenplatz 165, hin oder her. Doch er, der in so vielem an den großen Ivanisevic erinnert und deshalb seit Jahren mit dem Spitznamen „Baby Goran“ leben muss, behielt die Nerven und schenkte seinem Team den dritten Punkt.

So lagen sie sich dann alle in den Armen; Ljubicic herzte Ancic ohne Rücksicht auf weiteren Schaden für den lädierten Nacken, Pilic drückte Ivanisevic, dessen Vater wandte sich mit leuchtenden Augen der bewegten Gattin des Teamchefs zu, und aus der Jubeltraube ragte der vierte Mann des Teams, Ivo Karlovic, mit seinem Gardemaß von 2,08 Metern heraus. Ja, es war wirklich schön, als in der Sibamac-Arena zu Bratislava die bengalischen Feuer brannten. Pilic hatte schon vor dem ersten Spiel des Finales gesagt, wenn er den Pokal nach drei Siegen mit deutschen Teams in den Jahren 1988, 1989 und 1993 mit den Jungs aus seiner alten Heimat gewinnen würde, das wäre für ihn der Mount Everest. Nachdem er den Gipfel der Gefühle erklommen hatte, schwärmte er: „Es geht mir soo gut, ich bin soo bewegt; ich sollte ein Buch schreiben, um all das erklären zu können.“

Er gibt sich der Hoffnung hin, der Sieg möge eine Menge Kinder zum Tennisspiel führen. In welcher Rolle er sich selbst dabei sieht, ist noch nicht klar. Ivanisevic, der sich als vierter Mann des Teams auf der Bank heiser brüllte bei der Unterstützung von Ljubicic und Ancic, sagt, er sei bereit, die Rolle des Teamchefs bald zu übernehmen. Aber es ist nicht auszuschließen, dass Niki Pilic, 66, noch mal auf den Everest will. DORIS HENKEL