Nichts verhockt

KONZERT Vertrauensfragen mit Yo La Tengo – ganz leise und heftig laut in der Volksbühne

„Slow down“, sangen sie und waren – immer stiller, noch behutsamer werdend – ganz bei sich

Hat doch immer alles seine zwei Seiten, die Vorderansicht der Medaille und der Blick hintendrauf. Was sich auch zu einer dialektischen Angelegenheit auswachsen kann, These, Antithese. Mit der gleich daran anschließenden Frage, auf welcher Seite man jetzt eigentlich stehen will.

Oder hier mal: sitzen. Denn darum ging es zuerst an diesem Mittwochabend bei dem Konzert von Yo La Tengo in der ausverkauften Volksbühne, bei dem wie noch immer bei den Konzerten dort das Publikum schon beim Hineinzwängen ins Volksbühnengestühl die Frage diskutierte, ob das überhaupt zusammengehen könne, ein braves Sitzen bei einem Rockkonzert?

Eine erste Antwort darauf gaben die Musiker von Yo La Tengo, als sie vor drei stilisierten Bäumen in aufblühendem Grün als Kulisse ihren Platz auf der Bühne einnahmen. Der Gitarrist Ira Kaplan hockte sich sofort auf einen Stuhl, Georgia Hubley klemmte sich hinter ein Minimalschlagzeug. Nur der Bassist und Nebenbei-Keyboarder James McNew wollte dann doch stehen bei dem Konzert, bei dem man schnell vergessen durfte, dass man es bei Yo La Tengo mit der Indierockband des allgemeinen Vertrauens zu tun hat, so wie da Hubley strikt mit dem Besen ihr Schlagzeug streichelte und wie Kaplan ganz sacht und behutsam seine Töne in die Volksbühne tupfte, sorgfältig und sparsam. Immer stiller werdend.

Das war sicherlich noch Indie und Rock dann doch eher nicht, bei dieser zurückgelehnten und träge in die Sonne blinzelnden Verandamusik. Also bestimmt kein in den Hintern tretendes „Du musst dein Leben ändern“-Konzert. Keinerlei Aufgeregtheiten, stattdessen die Dringlichkeit des Sanften.

Im Harmoniegesang durfte man sich an die Byrds erinnern, an John Denver, den jungen Neil Young. An Folk und Blumenwiesen mit der süßen Melancholie des späten Sommers in der Luft, die man haschen konnte in den schön dahintreibenden, nie getriebenen Songs. „Slow down“, sangen sie bei Yo La Tengo und waren – immer stiller, noch behutsamer und sparsamer werdend – ganz bei sich. „Zauberhaft. Nein, verzaubernd“, hörte man nebenan in der Sitzreihe. Und, ein beglückter Seufzer: „Schön!“

So war das. Im ersten Teil des Konzerts, und dann gab es, gleichfalls nicht gerade üblich bei einem Rockkonzert, eine Pause. Auf der Bühne wurden die Kulissen und die Instrumente ein wenig umgerückt. Jetzt gab es auch ein vollwertiges Schlagzeug. Also, wurde gleich geraunt, werde nun im zweiten Teil vielleicht doch gerockt bei Yo La Tengo. Und genau das wurde erst mal nicht. Es folgte ein weiteres dieser sanftmütigen und freundlich anschmiegsamen Lieder, bis ein erstes, freudig bejohltes Gitarrenfeedback (Ira Kaplan spielte nun doch im Stehen) als Ausgangspunkt genommen wurde für immer heftiger werdende Exkursionen auf der Bühne, mit lang ausgespielten psychedelischen Freakouts, mit Gitarrensoli, mit der vibrierenden Körperlichkeit. Der Rock. Federnd und elastisch. Fiebrig. Soulful. Krachend. Lärmverliebt. Erinnerungen an Velvet Underground, an den älteren Neil Young mit Crazy Horse. Und wieder waren Yo La Tengo ganz bei sich selbst.

Ein zweigeteiltes Konzert. Folk. Rock. Zwei Seiten von Yo La Tengo. Und man musste sich noch nicht einmal für eines entscheiden. Eine Medaille. Wer unbedingt wollte, konnte ja auch raus aus den Sesseln und sich in die Aufgänge stellen, um nichts zu verhocken bei einem schönen, eindringlichen, verzaubernden und verschiedene Intensitäten durchspielenden Konzert mit Yo La Tengo, dem Trio aus Hoboken, New Jersey. Band des allgemeinen Vertrauens seit Ende der achtziger Jahre und in die weitere Zukunft hinein. THOMAS MAUCH