Fälschen, stehlen – auch morden?

JUSTIZ Ein angehender Lehrer steht vor Gericht, weil er Sexualpartner mit Liquid Ecstasy umgebracht haben soll

Ihm sei bekannt, dass bereits die Einnahme von 4 Millilitern „Liquid Ecstasy“ tödlich wirke

Drei Giftmorde und zwei Versuche, mit Gift zu morden, sollen auf sein Konto gehen. Doch Dirk P. kann alles erklären. Jedenfalls fast alles.

Seit drei Wochen läuft der Prozess gegen den angehenden Lehrer vor dem Landgericht. Mit leisen Worten schilderte der kleine, untersetzte 38-Jährige zunächst sein Leben, das in einem Dorf nahe Saarbrücken begann. Hier war er mit Eltern und einer jüngeren Schwester aufgewachsen, hatte ein Fachabitur und eine Ausbildung zum Krankenpfleger absolviert und schon bald gemerkt, dass er diesen Beruf nicht bis zur Rente ausüben will. Der Besuch einer Abendschule ließ sich nicht mit der Schichtarbeit vereinbaren; durch Zufall bekam P. das Abiturzeugnis eines Freundes in die Hände, das er kopierte, fälschte und erfolgreich beglaubigen ließ.

2006 zog er mit seinem Lebensgefährten nach Berlin und begann ein Pädagogikstudium. Sein Partner habe sich eine offene Beziehung gewünscht, sagt Dirk P, er selbst bevorzuge es „klassisch monogam“. Dennoch habe er sich darauf eingelassen und selbst Sex außerhalb der Beziehung gesucht. Er habe Druck abbauen wollen, der aus beruflichem Stress und kleineren Streitigkeiten resultiert hätte, aber auch aus der Sorge um seinen herzkranken Vater. Nach dem Sex habe er sich immer geschämt und geekelt.

Im Sommer 2011 habe er seinen ersten Diebstahl begangen und von nun an immer wieder das euphorische Gefühl beim Stehlen gesucht. Ein halbes Jahr später traf er im Volkspark Friedrichshain einen Mann, der ihm „Liquid Ecstasy“ angeboten habe. Er genoss die aphrodisierende Wirkung: „Der Kopf war ganz leer, ich habe alles andere ausgeblendet, mich nur auf den Sex konzentriert.“ Diesmal seien die Schuldgefühle ausgeblieben. Er habe dann gelesen, man könne gefahrlos 10 Milliliter der Droge konsumieren, und erwarb das Präparat im Internet. Zuvor unterschrieb er eine Erklärung für diesen Kauf: Ihm sei bekannt, dass bereits die Einnahme von 4 Millilitern tödlich wirke.

Ende April besuchte er seinen Bekannten Alexander M. Anschließend habe er sich mit jemandem 20 Milliliter „Liquid Ecstasy“ teilen wollen. Es sei anders gekommen: Er habe Sex mit seinem Bekannten gehabt. Danach habe er sich und M. – von dem er wusste, dass er keine Drogen nimmt – jeweils 10 Milliliter in ein mit Wasser gefülltes Glas gekippt. Er habe gehofft, der andere würde im Nachhinein den Rausch positiv werten. Doch M. habe sein Glas hastig geleert, sich an dem seifigen Geschmack gestört und darum seinem Gast das – noch gefüllte – Glas entrissen, um es abzuspülen.

M. habe dann schlafen wollen, und Dirk P. ging, nicht ohne zuvor Rucksack, Handy und Portemonnaie des Todgeweihten mitzunehmen. Am nächsten Morgen reiste er auf Kosten seines Opfers zu seiner Familie. Er habe gehofft, M. würde ihn wegen des Diebstahls zur Rede stellen: „Ich wollte, dass von außen jemand Einfluss nimmt und mich dazu zwingt, das zu bearbeiten.“

Ähnlich erklärt er dem Gericht den Tod von Nicky M. und Peter M. Ersterer, dem er in einer Schwulenbar begegnete, habe ungefragt aus P.s mit „Liquid Ecstasy“ gefüllter Flasche getrunken. Letzterer habe sogar gewünscht, diese Droge zu konsumieren. Den Mordversuch an einem weiteren Sexpartner bestreitet der Angeklagte: „Ich habe ihm nichts verabreicht, ich weiß nicht, warum er das sagt.“

Nur bezüglich des Mordversuchs an einem Studenten gerät er ins Schlingern. In der S-Bahn habe er mit seiner Zufallsbekanntschaft einen Likör gegen eine mit der Droge präparierte Wodkaflasche getauscht. „Der eine tut etwas, der andere steht entsetzt daneben“, sagt Dirk P. über sich selbst. Er soll sein Opfer beraubt und in einem Hauseingang liegen gelassen haben. Gerade noch rechtzeitig konnte man den Komatösen in ein Krankenhaus bringen. Hilflos meint der Angeklagte: „Ich kann es nur schildern, nicht erklären. Das war ja weg vom Sexuellen.“ Auch seine Ärzte und der psychiatrische Gutachter hätten ihm dabei nicht helfen können.

UTA EISENHARDT