Ultrareligiöser Protest in Israel: Tora-Studium statt Waffendienst
Israels Politiker überlegen, orthodoxe Juden in Zukunft zum Militär zu schicken. 30.000 Ultrareligiöse protestierten am Donnerstag dagegen vor dem Rekrutierungsbüro der Armee.
JERUSALEM afp | Tausende ultraorthodoxe Juden haben in Israel gegen ein mögliches Ende ihrer Befreiung vom Militärdienst demonstriert. Laut der Online-Ausgabe der israelischen Tageszeitung Ha'aretz versammelten sich rund 30.000 ultraorthodoxe Demonstranten am Donnerstagabend vor dem Rekrutierungsbüro der Armee in Jerusalem.
Dabei kam es zu einzelnen Scharmützeln zwischen Demonstranten und der Polizei. Diese sei mit Steinen und anderen Gegenständen beworfen worden. Drei Demonstranten und zehn Polizisten sollen sich Verletzungen zugezogen haben. Die Teilnehmer beteten und riefen Slogans wie „Die Tora steht über allem“. Die Polizei nahm mindestens fünf Demonstranten fest.
Die Sicherheitsbehörden wurden von der hohen Zahl der Teilnehmer überrascht, hatten die Organisatoren doch eine Veranstaltung mit lediglich 5.000 Demonstranten angemeldet. Zu dem Protest hatten Rabbiner aufgerufen, die der Eda Haredit, einer Sammelbewegung extremistischer Ultra-Orthodoxer in Jerusalem, nahestehen. Genäßigtere Rabbiner hielten sich vom Protest fern, trotz beharrlicher Versuche, ihre Unterstützung zu gewinnen, so Ha'aretz.
In Israel müssen Männer einen dreijährigen Militärdienst leisten, Frauen werden für zwei Jahre eingezogen. Ultraorthodoxe Juden sind dagegen vom Militärdienst fast ausnahmslos freigestellt.
Allerdings hat der Oberste Gerichtshof Israels im vergangenen Sommer die bisherigen gesetzlichen Regelungen zur Wehrdiensteinberufung für verfassungswidrig erklärt. Die Richter erteilten der Politik die Aufgabe einer Neuformulierung. Deshalb werden derzeit verschiedene Vorschläge diskutiert, Ultraorthodoxe zumindest zu einem Zivildienst zu verpflichten. Die ultraorthodoxen Rabbiner lehnen dies mit dem Argument ab, ihre religiösen Studien hätten oberste Priorität.
Das Vorhaben, die Wehrdienstbefreiung Ultraorthodoxer abzuschaffen, hat derzeit besonders gute Karten, da nach Jahren der Regierungsbeteiligung streng religiöser Parteien erstmals kein Vertreter mehr aus ihrem Lager im Kabinett sitzt.
Stattdessen koaliert Premier Bibi Netanjahus Likud-Block nun mit der neu gegründeten, liberale Zukunftspartei (Jesch Atid). Und dir schaffte auf Anhieb den Sprung ins Parlament, weil sie mit der unter der Bevölkerungsmehrheit populären Forderung nach einer gerechteren Verteilung der Lasten des Militärdiensts Wahlkampf betrieben hatte. Ultraorthodoxe stellen rund zehn Prozent der rund acht Millionen israelischen Bürger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen