Glanzloser Sieg für Hugo Chávez

Ohne Beteiligung der rechten Oppositionsparteien und mit nur 25 Prozent Wahlbeteiligung gewinnt die Partei von Venezuelas Präsident eine Zweidrittelmehrheit. Die Regierung verspricht Versöhnung, die Opposition außerparlamentarische Kämpfe

VON GERHARD DILGER

Nachdem die rechte Opposition die Parlamentswahlen vom Sonntag boykottiert hatte, besteht Venezuelas künftige Nationalversammlung ausschließlich aus Anhängern des Präsidenten. Die Chávez-Partei „Bewegung Fünfte Republik“ erhält nach Angaben des Parlamentariers William Lara 114 von 167 Mandaten. Damit verfügt sie über die für Verfassungsänderungen und Besetzungen von Schlüsselpositionen nötige Zweidrittelmehrheit. Die übrigen Sitze gehen voraussichtlich an kleinere verbündete Parteien.

„Die alten Parteien sind schon tot“, sagte Hugo Chávez vorgestern Mittag, nachdem er mit einem Enkel im Arm seine Stimme für die venezolanischen Parlamentswahlen in die Urne geworfen hatte. „Vielleicht akzeptieren sie es ja im Innersten ihrer Seele, im Unterbewusstsein, und haben deshalb so gehandelt. Sie haben ihren Tod beschleunigt, um in die Annalen der politischen Geschichte einzugehen und neuen Leuten, neuen Ideen Platz zu machen.“ Das klang wie ein Abgesang vor allem auf jene beiden Traditionsparteien, die jahrzehntelang die Geschicke Venezuelas bestimmt hatten, bevor sie 1998 von der chavistischen Welle überrollt wurden: die Sozialdemokraten der „Demokratischen Aktion“ (AD) und die christdemokratische Copei.

Ein amtliches Endergebnis lag bis Redaktionsschluss noch nicht vor. Es handelt sich also kaum um den „schnellsten und sichersten Wahlprozess des Kontinents“, wie Chávez behauptete. Unklar war auch das genaue Ausmaß der Wahlenthaltung. Nach Auszählung von vier Fünfteln der Wahllokale lag die Wahlbeteiligung bei 25 Prozent. Selbst diese Zahl hält der Journalist und Ex-Minister Teodoro Petkoff noch für zu hoch gegriffen.

Zudem seien selbst manche Chávez-Anhänger durch dessen Regierungsstil verunsichert, vermutet Petkoff, ein Parteigründer der ebenfalls oppositionellen „Bewegung zum Sozialismus“ MAS, der mit einer Präsidentschaftskandidatur im kommenden Jahr liebäugelt. Auch Chávez möchte im Dezember 2006 nicht ohne Gegner bleiben. Ausdrücklich lobte er drei prominente Politiker der oppositionellen Linken, die sich an der Wahl beteiligten: „Hoffentlich haben Sie die Kraft, die Intelligenz und Fähigkeit, die Kräfte der Opposition neu zu bündeln.“

Vizepräsident José Vicente Rangel, der die Wahlboykotteure in der letzten Woche attackiert hatte, zeigte sich ebenfalls versöhnlich. Er forderte „alle Sektoren“ auf, sich bald an einen Tisch mit der Regierung zu setzen, um „über die großen nationalen Themen zu diskutieren“. Den Versöhnungsaufruf des Erzbischofs von Caracas, Jorge Urosa, lobte Rangel in höchsten Tönen.

Die Wahlboykotteure setzten hingegen weiter auf Konfrontation. Am Wahlsonntag habe auf den Straßen des Landes „Friedhofsruhe“ geherrscht, sagte AD-Generalsekretär Henry Ramos Allup. Die neue Nationalversammlung habe keinerlei Legitimation. Die Sozialdemokraten seien von nun an zur außerparlamentarischen Opposition bereit: „Wir sind in den Gewerkschaften, den Universitäten, den Unternehmerverbänden und in den Stadtteilen präsent.“

Nach Ansicht von María Corina Machado von der bürgerlichen Wahlüberwachungsinitiative „Súmate“ zeigt die niedrige Wahlbeteiligung, dass die VenezolanerInnen dem von Chavistas kontrollierten nationalen Wahlrat nicht vertraut hätten. Für einen von der Opposition heraufbeschworenen „Wahlbetrug“ gab es jedoch keinerlei Anzeichen. Von den gut 200 von der EU und der Organisation Amerikanischer Staaten entsandten Wahlbeobachtern lag zunächst keine offizielle Stellungnahme vor.

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