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Forschung an Primaten„Menschlich, ja“

Jane Goodall ist die Schutzpatronin der Schimpansen. Ein Gespräch über den aktuellen Disney-Film, Gender im Tierreich und die Qual in Laboren.

Jane Goodall mit ihrem Kuscheltier-Affen in einem Zoo in Sydney. Bild: reuters
Interview von Katharina Granzin

sonntaz: Frau Goodall, wenn man so lange unter Schimpansen gelebt hat wie Sie, beginnt man dann irgendwann Menschen mit Schimpansen zu vergleichen?

Jane Goodall: O ja, manchmal schon. Das ist nie absichtlich passiert, ich habe einfach festgestellt, dass es so ist. Und es hilft einem tatsächlich, manche Dinge zu verstehen.

Gibt es bestimmte menschliche Züge, die Sie besonders an Schimpansen erinnern?

Wenn man eine gute Mutter mit ihrem Kind beobachtet, ob Menschen oder Affen. Solange das Menschenkind noch so klein ist, dass es nicht spricht, gibt es überhaupt keinen Unterschied. Außer diesem einen, dass die Menschenmutter mit ihrem Kind spricht, auch wenn das Kind selbst noch nicht sprechen kann.

Was tut denn eine gute Mutter? Also: eine gute Schimpansenmutter?

Eine gute Schimpansenmutter ist sehr liebevoll. Das ist sehr wichtig. Spielerisch; das ist auch wichtig. Geduldig. Tolerant in einem gewissen Ausmaß, aber fähig, das Kind zu disziplinieren. Sie muss wissen, wann sie Nein sagen muss.

Diesen Text lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. Juni 2013. Darin außerdem: Die Titelgeschichte „Die neuen Habenichtse“ über Internetunternehmer, die das Zeitalter des Haben-Wollens überwinden wollen. Die Affenforscherin Jane Goodall über die Ähnlichkeit von Menschen und Schimpansen. Und: Wie ein Islamist mit einem Telefonstreich den größten Terroralarm seit der RAF auslöste. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Und wann sagen Schimpansenmütter Nein?

Zum Beispiel, wenn die Mutter gerade dabei ist, nach Termiten zu fischen, und das Kind immer nach dem Werkzeug schnappt. Dann gibt die Mutter einen keuchenden Laut von sich, und das Kind wimmert.

Gibt es auch physische Formen der Zurechtweisung?

dpa
Im Interview: Jane Goodall

Die Tat: Zu Beginn der Sechziger machte die junge Engländerin die sensationelle Entdeckung, dass nicht nur Menschen, sondern auch Schimpansen Werkzeuge benutzen und herstellen können.

Der Weg: 1934 geboren, lebte sie seit 1960 als erste Feldforscherin lange im Dschungel, um wild lebende Schimpansen in ihrem natürlichen Umfeld zu beobachten.

Der Erfolg: 1965 wurde sie (ohne Universitätsabschluss) an der Universität Cambridge promoviert, dann Leiterin des Gombe Research Center in Tansania. 1977 gründete sie das Jane Goodall Institute, das sich im Arten- und Naturschutz engagiert und heute Büros in 27 Ländern unterhält.

Normalerweise nehmen sie die Hand und beißen hinein. Nicht so, dass eine Wunde entsteht, aber dass es spürbar ist. Das ist eine ganz typische Bestrafung. Und es gibt Mütter, die das nicht können und die dann häufig verwöhnte Kinder haben. Diese Kinder machen oft Probleme.

Klingt sehr menschlich.

Das ist es. Menschlich, ja.

Haben die Schimpansenkinder noch andere enge Bindungen, außer zur Mutter?

Ja, zu den älteren Geschwistern.

Nie zum Vater?

Erst seit Kurzem können wir überhaupt über DNA-Tests die Väter bestimmen. Man sammelt die Fäkalien und schickt sie ins Labor. Bevor es diese Möglichkeit gab, mussten wir raten. Es gibt keine Paarbindung zwischen Männchen und Weibchen.

In dem aktuellen Disney-Film „Schimpansen“ haben Sie als Beraterin mitgewirkt. Im Film sieht man unter anderem, dass es für ein Männchen unter Umständen möglich ist, seine Rolle zu wechseln?

Ein Alphamännchen muss sehr selbstbewusst sein und sehr mutig. Auch wenn ein Anführer gerade von drei anderen Männchen angegriffen wird, weil er gerade erst in diese Position gelangt ist, muss er seine Angst beherrschen und die Angreifer konfrontieren. Ein Männchen, das das kann, hat eine Chance, auch an der Spitze zu bleiben. Es gibt zwei Arten von Alphamännchen. Manche kommen an die Spitze, weil sie groß, stark und sehr aggressiv sind. Solche halten ihre Position höchstens zwei Jahre. Daneben gibt es die anderen, die vielleicht kleiner sind, aber sehr motiviert und intelligent – die können es auf sechs bis zehn Jahre bringen.

Aber Weibchen haben keine Chance auf die Führungsposition.

Nicht für die ganze Gruppe. Aber es gibt auch unter den Weibchen eine Hierarchie, die sich allerdings permanent ändert. Wenn etwa ein Weibchen an einem Tag von seinem schon erwachsenen Sohn begleitet wird, kann es eine andere Mutter dominieren, die nur mit ihrer erwachsenen Tochter zusammen ist. Aber da heranwachsende Schimpansen nicht mehr die ganze Zeit bei ihrer Mutter sind, ändert sich die Hierarchie ständig, je nachdem, welche Kinder eine Mutter gerade um sich hat.

Ihre Beratertätigkeit bei „Schimpansen“ – worin bestand die genau?

Ich sollte das Drehbuch lesen und kommentieren, hauptsächlich aber dabei helfen, den Film zu promoten. Das hieß für mich: die Sache der Schimpansen zu promoten! In den USA habe ich unzählige Interviews gegeben und dabei auch viel über das Jane-Goodall-Institut gesprochen, über die fünfzig Jahre, die wir schon über Schimpansen forschen und die mir die Autorität geben, über diesen Film zu sprechen.

Um noch einmal auf die Rollenmuster zurückzukommen: Während der Dreharbeiten stieß das Filmteam auf eine Geschichte, die außergewöhnlich zu sein scheint: ein Männchen, das einen verwaisten kleinen Schimpansen adoptiert. Ist dieser Vorgang tatsächlich so sensationell?

In all den Jahren, die ich in unserer Feldstation in Tansania geforscht habe, habe ich ein einziges Mal etwas Ähnliches beobachtet. Es kann vorkommen. Hier ist es aber ein Alphamännchen, der Anführer der Gruppe! Das ist wirklich äußerst selten.

Im Presseheft schreiben Sie, das sei so selten, weil er als Anführer in den Augen der anderen „eine Rolle zu erfüllen“ habe. Welches Verhalten impliziert das?

Das soll heißen, wenn man ein hochrangiges Männchen sein will, muss man jederzeit bereit sein, diese Position zu verteidigen. Dafür diese ganze Angeberei. Man muss groß und stark aussehen, an Bäume trommeln, das Fell sträuben, jüngere Männchen in ihre Schranken weisen. Und ich habe immer gesagt, natürlich würden Mütter sich niemals so verhalten, weil sie sich um ihr Baby kümmern müssen. Aber Freddy im Film schafft es tatsächlich, sowohl das Kind zu behalten als auch seine Position zu behaupten.

Er hat also dasselbe Alphamännchen-Verhalten gezeigt wie vorher?

Nun, zu Beginn hat er das wohl tatsächlich vernachlässigt. Dann aber, als seine Position gefährdet schien, musste er es wieder aufnehmen.

Weil Sie gerade „Freddy“ sagten: Sie schreiben in Ihrem Buch „Grund zur Hoffnung“, dass Sie die Erste waren, die den Affen, die Sie beobachteten, Namen gaben. Das war früher nicht üblich?

Es war offenbar nicht wissenschaftlich. Aber ich hatte damals ja noch nie wissenschaftlich gearbeitet, hatte nicht einmal studiert. Wie sollte ich das also wissen?

Heutzutage geben ja alle Wissenschaftler den Tieren Namen.

Nicht alle, aber die meisten. Außer den Leuten, die schreckliche medizinische Forschung betreiben. Sie wollen nicht auf diese Weise an die Tiere denken.

Was die medizinische Forschung betrifft, so sind Sie selbst seit 1986 hauptberuflich als Aktivistin tätig. Haben Sie das Gefühl, in den fast drei Jahrzehnten auf diesem Gebiet etwas bewirkt zu haben?

Es hat sich einiges getan, und wir haben dabei Einfluss gehabt, das weiß ich. Aber auch andere Faktoren haben eine Rolle gespielt. Zum einen ist es sehr teuer, Schimpansen zu halten. Zum anderen wurde die öffentliche Meinung immer kritischer. Inzwischen sind in den USA die meisten der Labore geschlossen worden, die Forschung an Schimpansen betrieben haben. Das National Institute of Health hat gerade eine Direktive herausgegeben, nach der die meisten der zu Forschungszwecken gehaltenen Schimpansen freigelassen werden sollen. Es sind immer noch etwa 1.500 Schimpansen, die in diesen schrecklichen Laboren leben. Eine Studie hat ergeben, dass die meisten Experimente für den Menschen überhaupt nicht von Nutzen sind. Etwa 500 Schimpansen sollen nun noch bleiben, die anderen werden aus der medizinischen Forschung entlassen. Diesen Entscheidungsprozess habe ich über die Jahre hinweg begleitet.

Und was wird aus den entlassenen Schimpansen?

Das ist das Problem. Der Direktor des National Institute of Health, der die ganze Zeit mein Gesprächspartner war, sagte zu mir, aber Jane, was sollen wir nur mit ihnen machen? Kannst du uns helfen, Geld aufzutreiben? Wir müssen Einrichtungen für sie bauen.

Also helfen Sie mit, diese Einrichtungen aufzubauen?

Nein. Sie müssen selbst zusehen, wie sie das Geld zusammenbekommen. Wir schaffen es gerade einmal, unsere Projekte in Afrika zu finanzieren, darunter auch Projekte, die das Leben von Dorfbewohnern verbessern helfen, und unser Jugendprogramm, das in 130 Ländern läuft.

Aber wo genau sind denn jetzt die Laborschimpansen, die nicht mehr gebraucht werden?

Sie sind immer noch genau dort, wo sie waren. Nur 110 Tiere aus den allerschlimmsten medizinischen Forschungszentren konnten inzwischen umziehen in eine Einrichtung, die schon zu diesem Zweck gebaut worden war und mit nicht allzu viel Geld vergrößert werden konnte. Als ich das interne Filmmaterial aus diesen Laboren gesehen habe, wäre ich fast gestorben. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Das war letztes Jahr.

Im Film „Schimpansen“ erfährt man, dass heutzutage nur noch ein Fünftel der Schimpansenpopulation lebt, die es noch vor zwanzig, dreißig Jahren insgesamt gab. Die Tiere werden nicht nur zur Forschung benutzt …

Überall in Zentral- und Westafrika werden sie von Buschmann-Stämmen gegessen. Nicht als alltägliche Mahlzeit, sondern vor allem für zeremonielle Anlässe. Schimpanse ist eine Delikatesse. Das Problem ist: Früher aß ein ganzes Dorf vielleicht einen Schimpansen. Und in den meisten Dörfern wird das gar nicht praktiziert, es ist eine lokal begrenzte Tradition. Aber die zunehmende kommerzielle Ausbeutung der afrikanischen Wälder hat alles geändert. Die Nutzung der natürlichen Ressourcen ist nicht mehr subsistent, und die kulturellen Beziehungen zwischen Mensch und Wald sowie Mensch und Tier haben sich geändert. Ausländische Forstwirtschaftsunternehmen sind in den Wäldern, darunter auch ein großes deutsches, mit Hauptquartier im Kongo. Und selbst wenn sie alle nachhaltige Forstwirtschaft betrieben, würde das wenig nützen, da sie die Wälder durch den Bau von Zufahrtswegen zugänglich machen. Auf diesen Straßen kommen die Jäger. Heute wird nicht mehr nur für das eigene Dorf gejagt, sondern aus kommerziellen Gründen.

Was kann man dagegen tun?

Ich habe mit den Forstunternehmen geredet, und als Ergebnis wurde eine Art Verhaltenskodex verabschiedet. Darin steht zum Beispiel, dass Bäume nicht zu dicht nebeneinander geschlagen werden dürfen. Und soweit ich gehört habe, haben sie diesen Kodex jetzt um einen ganzen Abschnitt erweitert, der vom Umgang mit Tieren handelt. Ein Unternehmen, das deutsche übrigens, hat als Direktive für seine Forstarbeiter ausgegeben, dass die Arbeiten abgebrochen werden müssen, wenn in der Nähe Schimpansen zu hören sind. Ich bin schon sehr oft dafür kritisiert worden, dass ich Gespräche führe mit den Forstwirtschaftsunternehmen oder mit Leuten, die medizinische Forschung an Primaten betreiben. Aber wenn man vernünftig mit den Leuten redet, erreicht man sehr oft Veränderungen zum Positiven. Es bringt nichts, herumzuschreien und mit dem Zeigefinger zu fuchteln. Und es ist sehr schwierig, das Denken der Menschen zu ändern. Man muss versuchen, sie emotional zu berühren.

Verbinden Sie mit diesem Film konkrete Hoffnungen für die Sache der Schimpansen?

Zum einen hoffe ich, dass der Film zu einem besseren Verständnis für Schimpansen beiträgt. In den USA ist es völlig legal, Schimpansen als Haustiere zu halten. Wir wollen bewirken, dass das verboten wird. Aber solange es legal ist, kann dieser Film dazu beitragen, dass die Leute verstehen, dass Schimpansen nicht klein und niedlich bleiben, sondern groß, stark und gefährlich werden können. Der andere Grund, warum ich den Film promote, ist, dass mein Institut finanziell davon profitiert hat. Sie haben uns einen gewissen Prozentsatz der Einnahmen aus den ersten zwei Wochen gegeben. Keine Riesensumme, aber das Geld hat uns sehr geholfen. Wir betreiben die größte Einrichtung für verwaiste Schimpansen in Afrika. Geld dafür aufzutreiben, ist ein ständiges Thema.

ist Kulturjournalistin und mag keine Zoos

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3 Kommentare

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  • B
    Bewundererin

    Eine großartige Frau, vielen Dank fürs Interview!

    Was sie offenbar auszeichnet: sie spricht und verhandelt mit den Gegnern auf Augenhöhe und erreicht damit so viel mehr als würde sie nur einen Konfrontationskurs fahren ... ich wünschte die Liga der (Vulgär-)FeministInnen würde sich davon mal eine dicke Scheibe von abschneiden.

  • ML
    Monica Lieschke

    Sorry, aber: Diskriminierende Sprache gehört nicht zu Jane Goodalls Repertoire - als UN Friedensbotschafterin ist sie da ganz anders unterwegs.

    Ohne den engl. Originaltext zu kennen: Aber "Bushpeople" und "Bushmen" sind im Englischen für Indigene ebenso gebräuchlich wie politisch korrekt.

    Jane Goodall Institut Deutschland e.V.

  • R

    Buschmann-Stämme??? Das ist ohne Frage der rassistische Ausdruck,den ich seit langer Zeit gehört habe. Dass jemand, der in Afrika arbeitet so etwas benutzt ist genau so traurig, wie dass die TAZ es übernimmt und druckt. Schämt euch!