: Streit über Streusalz für die Straßen
WINTER Kali- und Salzindustrie kommt mit Produktion nicht nach. Das verärgert Städte und Kommunen. Kommt jetzt das Chaos?
VON JULIA OTTEN
Der Streusalzmangel hat zu einem Streit zwischen Städten und Kommunen sowie der Streusalz-Industrie geführt. In Nordrhein-Westfalen werden die Kommunen auf absehbare Zeit nicht mehr mit Streusalz beliefert, erklärte der Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen. Der Verband kritisiert die Hersteller von Streusalz. „Uns wurden in den Verträgen Nachlieferungen innerhalb von 48 Stunden versichert. Dies wird nicht eingehalten“, sagte Roland Thomas vom Städte- und Gemeindebund gegenüber der taz. Einige Kommunen erwägen, deshalb die Unternehmen zu verklagen, sagte Thomas. Auch in anderen Teilen Deutschlands zeichnen sich Engpässe beim Streusalz ab. Der Streusalz-Mangel könnte wegen der in den nächsten Tagen erwarteten, heftigen Schneefällen zu chaotischen Verhältnissen auf den Straßen führen. Der Deutsche Wetterdienst warnt für das Wochenende örtlich sogar vor Unwetter.
Die Streusalz-Hersteller weisen die Vorwürfe zurück und verweisen auf den „flächendeckend sehr außergewöhnlichen Winter“. „Wir müssen Prioritäten setzten und beliefern zuerst die Autobahnmeistereien“, sagte Nathalya Akhapkina, Sprecherin der European Salt Company (Esco), dem größten europäischen Salzhersteller. Das Unternehmen fördert zurzeit 20.000 Tonnen Salz pro Tag und gerät damit an seine Kapazitätsgrenze. „In den letzten zwei Wochen wurde die Menge an Salz angefordert, die im vorherigen Winter insgesamt verbraucht wurde“, sagte Akhapkina.
Der Verband der Kali- und Salzindustrie bestätigt die großen Schwankungen in der jährlichen Streusalz-Nachfrage: Waren es 1992 noch 600.000 Tonnen, die verbraucht wurden, so stieg der Wert in dem ebenfalls frostigen Winter 2005 auf 3,5 Millionen Tonnen. 2008 lag der Verbrauch bei rund 1,7 Millionen Tonnen. „Die Kommunen planen ihren Winterdienst im Frühjahr“, sagt Dieter Krüger, Sprecher des Verbandes, zu dem Esco oder das Dax-Unternehmen K & S gehören. Die Städte und Kommunen ermitteln einen durchschnittlichen Salzverbrauch und bestellen im Sommer.
Die Stadt Frankfurt am Main beispielsweise hat für diesen Winter 3.100 Tonnen Streusalz gelagert. Tausend weitere Tonnen habe man nachbestellt, sagt Michael Werner von der Frankfurter Entsorgungs- und Servicegesellschaft. „Wenn das zum Ende der nächsten Woche nicht geliefert wird, wird es knapp“, warnt Werner. In vorherigen Wintern hätten sich die Kommunen noch gegenseitig helfen können, erklärt Werner. Das sei dieses Jahr nicht möglich. Wenn der Schnellfall in der kommenden Woche allerdings sehr heftig wird, bleibe nichts anderes, als an das Verantwortungsbewusstsein der Bürger zu appellieren, vorsichtig zu fahren und auch mal zu Hause zu bleiben. Die Stadt Wiesbaden rief die Autofahrer schon auf, ihren Wagen am Freitag und Samstag stehen zu lassen.
Der Streusalz-Mangel kann Städte und Kommunen teuer zu stehen kommen. Wenn Hauptverkehrsstraßen und andere gefährliche Straßen nicht gestreut oder von Schnee geräumt werden, können Autofahrer, Fußgänger oder Radfahrer bei einem Unfall Schadensersatz und Schmerzensgeld fordern. Darauf wies der Verkehrsrechtler Arndt Kempgens angesichts des Salzmangels hin. Oberhausen muss bereits auf Granulat und Sand ausweichen. Die Kommunen müssten rechtzeitig Vorsorge treffen, dass die Hauptverkehrspunkte mit den bestmöglichen Mitteln abgestreut werden, sagte Kempgens. Im Gegensatz zum Salz senkt der Mix aus Sand und Granulat den Gefrierpunkt von Wasser nicht. „Wenn dies also nur die zweitbeste Lösung ist, dann könnte die Stadt haften“, sagte der Rechtsanwalt.