Sechs Tote bei Attentat in Netanja

Zum dritten Mal seit 2001 wurde ein Einkaufszentrum Ziel eines Selbstmordattentäters. Bei den palästinensischen Oppositionsgruppen stößt der Gewaltakt auf Zustimmung. Israel kündigte umgehend „präventive Exekutionen“ an

AUS JERUSALEMSUSANNE KNAUL

Solche Bilder gehören in der israelischen Küstenstadt Netanja schon beinahe zum Alltag: Die heraneilenden Ambulanzen, die Sanitäter, die Polizei und die freiwilligen Helfer, die mit Gummihandschuhen geschützt Leichenteile aufsammeln. Gestern um 11.30 Uhr Ortszeit gab es sie wieder: Ungeachtet der von Israel errichteten Sicherheitsanlagen entlang der Waffenstillstandslinie zum Westjordanland explodierte zum dritten Mal seit 2001 ein Sprengsatz unmittelbar am Eingang zum Einkaufszentrum von Netanja.

Der 21-jährige Lutfi Amin Abu-Salem, Aktivist des Islamischen Dschihad, trug den Sprengstoff bei sich und zündete ihn als Akt gegen „Israels andauernde Verbrechen“, so ein Bekennerschreiben. Der Attentäter war beobachtet worden, wie er mit einer Tasche in das Einkaufszentrum eindringen wollte und dabei von Sicherheitsleuten abgedrängt wurde, die ihn der Polizei übergeben wollten. Dabei explodierte der Sprengsatz, der mindestens sechs Menschen in den Tod riss und dutzende verletzte.

Palästinenserpräsident Machmud Abbas verurteilte den Anschlag, der die palästinensischen Interessen verletze. Die Führung in Ramallah rief dazu auf, „Israel nicht in die Hände zu spielen“ und kündigte eine Untersuchung des Anschlags an. Konkrete Maßnahmen sind vor den Ende Januar geplanten Parlamentswahlen hingegen kaum zu erwarten.

Bei den palästinensischen Oppositionsgruppen stieß der Gewaltakt auf Zustimmung. Die israelische Luftwaffe hatte in den vergangenen Tagen Ziele im Gaza-Streifen bombardiert, nachdem zuvor erneut Kassam-Raketen auf Israel abgegeben worden waren. Dabei wurde ein Palästinenser verletzt. Israels Verteidigungsminister Schaul Mofas kündigte gestern Vormittag zudem die Wiederaufnahme der so genannten präventiven Exekutionen an. Eine Maßnahme, auf die die fundamentalistischen Widerstandsgruppen mit einer Wiederaufnahme der Gewalt reagieren könnten. Die Hamas und die der Fatah nahe stehenden Al-Aksa-Brigaden hatten sich bis Ende des Jahres zu einer Feuerpause verpflichtet.

Erst am Abend wollte Israels Premierminister Ariel Scharon gestern eine Sondersitzung zu Sicherheitsfragen einberufen. Am frühen Nachmittag trat er mit den Mitgliedern der neuen Fraktion Kadima zusammen. Knapp vier Monate vor den israelischen Parlamentswahlen verschieben sich mit dem jüngsten Terrorakt erneut die Schwerpunkte des Wahlkampfes. Amir Peretz, neuer Chef der Arbeitspartei, der vorläufig vor allem mit seiner sozial-ökonomischen Agenda um die Gunst der Wähler wirbt, beeilte sich nach dem Anschlag mit der Ankündigung, einen „kompromisslosen Krieg“ gegen den Terror führen zu wollen. Amir Peretz selbst hat mit seiner wenig beeindruckenden Armeekarriere, die beim Rang des Hauptmanns geendet hatte, seinem stärksten Gegner im Wahlkampf, Ariel Scharon, kaum etwas entgegenzusetzen.

Gleichzeitig dämpfen neue Terroranschläge die Popularitätswelle Scharons infolge des unilateralen Abzugs aus dem Gaza-Streifen, der von der israelischen Bevölkerung mehrheitlich gestützt wurde. Scharons schärfster Gegner im rechtsnationalen Lager, Benjamin Netanjahu, hatte den Abzug abgelehnt, weil die Palästinenser im Gegenzug keinen Gewaltverzicht anboten. Vor allem die aus dem Gaza-Streifen auf Israel abgeschossenen Kassam-Raketen sind Wasser auf die Mühlen des nationalreligiösen Lagers. Das hatte sich stets mit dem Argument gegen den Abzug gewehrt, für Israel vergrößere sich die Gefahr, von dort aus angegriffen zu werden.