Zerreißprobe im Nordkaukasus: „Der blutige Roosevelt“
Dagestans Präsident stellt seinen schärfsten Widersacher kalt: Der Bürgermeister der Hauptstadt Machatschkala wurde wegen Mordverdachts verhaftet.
BERLIN taz | Die russische Nordkaukasusrepublik Dagestan steht vor einer Zerreißprobe. Genau vier Monate nach dem Amtsantritt des geschäftsführenden Präsidenten, Ramasan Abdulatipow, wurde dessen schärfster Gegenspieler und Oberbürgermeister der Hauptstadt Machatschkala, Said Amirow, am vergangenen Wochenende wegen des Verdachts auf Mord an einem Ermittlungsbeamten festgenommen.
Mit gepanzerten Wagen hatten sich russische Sicherheitskräfte der zu einer Festung ausgebauten Wohnung des Bürgermeisters genähert, ihn festgenommen und sofort in einem Hubschrauber nach Moskau gebracht. Dort muss er die nächsten zwei Monate in Untersuchungshaft auf die Anklage warten.
„Die Operation wurde sehr zynisch durchgeführt. Vorschriften der Strafprozessordnung sind verletzt worden. Nicht einmal einen Haft- oder Hausdurchsuchungsbefehl hatten die Beamten zunächst bei sich“, zitieren russische Medien den Vizebürgermeister von Machatschkala, Bagand Magomedow.
Beliebt war Said Amirow nie. In den vergangenen 20 Jahren waren auf den 59-Jährigen 15 Anschläge verübt worden. Damit dürfte der Bürgermeister wohl in das Guinnessbuch eingehen, meinte ein anonymer Autor auf dem Internetportal snob.ru.
Zahlreiche Morde, die Amirow in Auftrag gegeben haben soll, hatten ihm den Beinamen „Der blutige Roosevelt“ eingebracht – offensichtlich eine Anspielung auf den Umstand, dass er seit einem Anschlag 1993 an den Rollstuhl gefesselt ist. Ganz Dagestan, so der Autor, wisse, dass Amirow nie vor einem Mord zurückgeschreckt sei, um einen Konkurrenten aus dem Weg zu räumen.
Gleichzeitig werden Amirow, der sogar mit dem Orden „Für eine gute Zusammenarbeit mit dem russischen Geheimdienst FSB“ ausgezeichnet worden war, gute Kontakte zu in den dagestanischen Wäldern agierenden salafistischen Untergrundkämpfern nachgesagt.
Die Verhaftung von Amirow zeigt, dass es der neue Präsident von Dagestan, Ramasan Abdulatipow, ernst meint mit seinem Versprechen, mit der Korruption unter der herrschenden Elite aufräumen zu wollen. Doch ob er sich mit der Verhaftung des „blutigen Roosevelt“ nicht selbst eine blutige Nase holt, ist noch nicht ausgemacht.
Leser*innenkommentare
Benz
Gast
@Fred
Es wäre jetzt also geklärt, dass der Tschetschenienkrieg zu Zeiten Jelzins und der Neoliberalen begann. Schön dass Sie das eingesehen haben. Übrigens begann ja auch der zweite Tschetschenienkrieg 1999, als Jelzin Präsident war.
Aber eine Frage blieb noch offen. Sie sprechen da von 'Zerfall des russ. Restimperiums' und prophezeien baldigen Rückzug Russlands aus dem Nordkaukasus. Solche Perspektiven müssten Sie doch eigentlich freuen? Oder befürworten Sie etwa ein grosses, ausgedehntes Russland?
Fred
Gast
@Benz
Richtig, Jelzin hatte den ersten Tschetschenienkrieg begonnen: im Dezember 1994. Und hat ihn dann aber 1996 mit dem Abkommen von Chassawjurt mitbeendet. Putin hat erreicht, daß nicht nur in Tschetschenien, sondern im gesamten Nordkaukasus Krieg geführt wird mit täglichen Attentaten, Kampfhandlungen, Entführungen, Folter, Mord. Ende nicht in Sicht. Vielmehr weitere Eskalation bis zum endgültigen Rückzug Russlands aus dem Nordkaukasus so wie sich Russland letzten Endes aus Osteuropa zurückgezogen hat. Putin agiert im 21. Jahrhundert wie ein Imperialist des 19. Jahrhunderts. Funktioniert nicht. So ist das nun mal, putinistischer Sportsfreund.
Benz
Gast
@Fred
Sie haben eine Vorliebe für Endzeit- und Weltuntergangsszenarien, stimmts?
Trotzdem muss ich Sie korrigieren: Nicht Putin hat den Tschetschenienkrieg begonnen. Der begann 1995, unter dem betont westlichen Jelzin und seiner neoliberalen Regierung.
Und eine Frage habe ich an Sie: Wenn Putin angeblich der Totengräber des russ. ''Restimperiums'' ist, dann müsste sich jemand wie Sie doch darüber freuen?
Fred
Gast
Der Anfang vom Ende des russischen Restimperiums findet seit 1994 im Nordkaukasus statt. Der Bürgerkrieg, der sich von Tschetschenien aus in die benachbarten Republiken ausgeweitet hat, ist lediglich der Vorbote des Bürgerkriegs, der ganz Russland in den kommenden Jahren erfassen wird.
Seit 1994 herrscht im Nordkaukasus Krieg. Der Putinismus hat diesen Krieg begonnen, hat ihn ausgeweitet auf den gesamten Nordkaukasus und ist unfähig, ihn zu beenden. In den vergangenen Jahren ist die Situation im Nordkaukasus immer weiter eskaliert. Genauso wie die Situation in ganz Russland sukzessive eskaliert. Putin und Putinismus sind der Totengräber des russischen Restimperiums.
reblek
Gast
"Die Verhaftung von Amirow zeigt, dass es der neue Präsident von Dagestan, Ramasan Abdulatipow, ernst meint mit seinem Versprechen, mit der Korruption unter der herrschenden Elite aufräumen zu wollen." - Hoffentlich meint er es nicht nur damit ernst, "aufräumen zu wollen", sondern auch damit, aufzuräumen.
Benz
Gast
Im russischen Nordkaukasus sind Familienclans und Vetternwirtschaft weit verbreitet. Die lokalen Eliten wissen die von Moskau zur Verfügung gestellte breite Autonomie offensichtlich nicht zu nutzen.
Die vielen kleinen autonomen Republiklein gehören aufgelöst und die Lokalfürsten entmachtet.