CDU: Ehrlich währt am längsten

Union hält trotz ihrer Verluste bei der Wahl das eigene Programm und Personal für richtig. Parteichefin Merkel will erst in zwei Jahren die Frage klären: „Was ist sozial?“

BERLIN taz ■ Das lange Warten hat sich gelohnt: Nach zweieinhalb Monaten Denkpause und siebenstündigen Beratungen gestern in der Parteizentrale hat die CDU-Führung mit Kanzlerin Angela Merkel an der Spitze eine sehr interessante Schlussfolgerung aus ihrem enttäuschenden Ergebnis bei der Bundestagswahl (gerade mal 35,2 Prozent) gezogen: Eigentlich war alles richtig.

„Das Programm war richtig“, verkündete CDU-Vize Christian Wulff schon vor Merkels Pressekonferenz stellvertretend für alle anderen Vorstandsmitglieder, die sich „erstaunlich einig gewesen“ seien, wie ein Neuling in der Runde überrascht erklärte. Er hatte offenbar damit gerechnet, dass es nach einem der schlechtesten CDU-Wahlergebnisse seit 1949 heftige Wortwechsel, grundlegende Kontroversen oder vielleicht sogar gegenseitige Beschimpfungen geben würde. Gab es aber nicht. Wulff zeigte sich darüber sehr erfreut und konnte es gar nicht oft genug in jedes Mikrofon sagen, das ihm hingehalten wurde: „Die Diskussion hat ergeben, dass es nicht am Programm lag.“ Das legt den Schluss nahe, dass es am Personal lag. Doch das behauptete natürlich erst recht niemand – nicht einmal hinter verschlossenen Türen. Denn offiziell war das Personal ja sowieso und überhaupt vollkommen richtig: Schließlich wurden die Hauptverantwortlichen für den Wahlkampf gerade erst befördert: Merkel zur Kanzlerin und ihr bisheriger Generalsekretär Volker Kauder zum Fraktionschef der Union im Bundestag.

Der neue Bundestagspräsident Norbert Lammert nannte die gestrige Wahlanalyse einerseits „überfällig“, andererseits stellte er fest, dass alles, was dazu gesagt werden könne, „vorher schon gesagt“ worden sei. In der Tat: Zahlreiche mehr oder weniger prominente CDU-Politiker hatten in den vergangenen Tagen beklagt, dass die Union im Wahlkampf zu einseitig auf Ökonomie gesetzt, den Aspekt der sozialen Gerechtigkeit zu wenig herausgehoben habe und die Emotionen der Menschen zu wenig angesprochen hatte. Nichtsdestotrotz verteidigte Parteichefin Merkel gestern ihren Wahlkampfstil und betonte, sie habe dafür Zustimmung bekommen: „Die Diskussion hat eindeutig gezeigt, dass der Wahlkampf der Ehrlichkeit ein richtiger Wahlkampf war“, sagte Merkel. Um Vertrauen bei den Menschen zu gewinnen, dürften im Wahlkampf nicht Erwartungen geweckt werden, denen Enttäuschungen folgten. „Das Verhältnis von Erwartungen und tatsächlichen Erfolgen müssen wir wieder in Balance bringen.“ Deshalb sei es auch richtig gewesen, Unerfreulichkeiten wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer im Wahlkampf anzukündigen. Pflichtschuldig ergänzte prompt auch ihr Stellvertreter Wulff im Brustton der Überzeugung: „Ehrlich währt am längsten.“

Um künftig „breitere Milieus erreichen“ zu können, will Merkel aber das Grundsatzprogramm der CDU überarbeiten – „in den nächsten 20, 24 Monaten“. Dann soll auch die Grundfrage beantwortet werden, auf die es gestern keine Antwort gab: „Was ist sozial?“

LUKAS WALLRAFF