Der pampige Poltergeist

PORTRÄT Um das Image des neuen Flughafenchefs steht es nicht zum Besten: ungehobeltes Auftreten, Turbokapitalist, Kaputtsparer. Trotzdem spricht einiges dafür, dass Hartmut Mehdorn der richtige Mann für den Job ist – zum Beispiel dass ihm sein Ruf vollkommen egal ist

■ In der Chefetage des Flughafens Berlin Brandenburg gibt es mit dem Amtsantritt Hartmut Mehdorns nicht nur einen neuen Namen. Brandenburg, Berlin und der Bund haben die von vielen als völlig unprofessionell kritisierte Struktur des Managements verändert: Mehdorn ist nicht Sprecher der Geschäftsführung wie sein Vorgänger Rainer Schwarz, der die Geschicke gleichberechtigt mit dem zuvor geschassten Technikchef Manfred Körtgen leitete. Mehdorn ist Vorsitzender der Geschäftsführung, der Big Boss – auch des aktuellen Technikchefs Horst Amann.

■ Noch fehlt ein Finanzgeschäftsführer, um die neue Struktur und das Trio zu komplettieren. Das könnte sich durchaus schnell ändern – Mehdorn hat in seinem Telefonbuch sicherlich einige dafür infrage kommende Namen stehen. (sepu)

Von Richard Rother

Wenn er seine Kumpels von vor zwanzig, dreißig Jahren treffe, würden die sagen: „Du hast dich nicht geändert“, erzählt Hartmut Mehdorn in seiner Gesprächsbiografie, „Diplomat wollte ich nie werden“. Und weiter: „Auch in Zukunft werde ich mich nicht mehr ändern.“ Er werde schließlich nicht für die Pflege seines guten Images bezahlt.

Bezahlt wird der 70-Jährige seit einer Woche als Chef der Berliner Flughäfen vor allem dafür, den Pannenairport in Schönefeld startklar zu machen. Dass Mehdorn dabei zum Diplomaten mutieren wird, steht nicht zu erwarten. Sein Ruf eilt ihm voraus: ein ruppiger Macher mit turbokapitalistischen Methoden. Wer ist dieser Manager, dem Berlin, Brandenburg und der Bund das aktuell vielleicht wichtigste Infrastrukturprojekt Deutschlands anvertraut haben? Worauf müssen sich die Berliner und Brandenburger bei einem Mann einstellen, der schon Unternehmen wie Heidelberger Druck, die Deutsche Bahn und Air Berlin führte und diese nicht im besten Zustand verließ? Haben sie es in den nächsten Jahren mit einem harten, aber effektiven Entscheider zu tun? Oder mit einem rücksichtslosen Krawallbruder?

Zum Einstand lieferte er gleich einen typischen Mehdorn: Poltern, ohne Rücksicht auf Verluste und die eigenen Leute – samt einer unerwarteten Botschaft. Man müsse die geplante Schließung des Flughafens Tegel überdenken, so Mehdorn am Montag, Charterflüge seien dort durchaus vorstellbar, nachts würden diese Flugzeuge ja gar nicht abheben. Das war nicht einfach so dahergeplaudert, wie es BER-Aufsichtsratschef Matthias Platzeck (SPD) hinterher eilig darzustellen versuchte. Mehdorn, der sich schon gegen die Schließung des Flughafens Tempelhof starkgemacht hatte, hat das absolut ernst gemeint.

Als Exchef von Air Berlin weiß er: Tegel ist bei den Westberlinern als Flughafenstandort beliebt, mal abgesehen von denen, die in Spandau und Wedding in der Einflugschneise leben. Mehdorns Kalkül: Sollten die Passagierzahlen in Berlin weiter rasant steigen und sollte es ihm gelingen, die rechtlich und politisch beschlossene Schließung Tegels nach der BER-Inbetriebnahme zu verzögern, könnte eine neue Debatte in Berlin aufkommen: Warum BER in Schönefeld teuer ausbauen, wenn es doch einen funktionierenden innenstadtnahen Flughafen gibt?

Für die Flughafeneigner, die beim BER eigentlich das Sagen haben, stellen sich damit schon zu Beginn von Mehdorns Arbeit entscheidende Fragen: Ist er der richtige Mann? Steht er überhaupt mit Leib und Seele hinter dem Projekt, das er aus dem Dreck ziehen soll? Das Fass Tegel machte er auf, obwohl es nach dem geltenden Planfeststellungsbeschluss, höchstrichterlich bestätigt, gar nichts darüber zu debattieren gibt, dass Tegel spätestens ein halbes Jahr nach der BER-Eröffnung vom Netz geht.

Dass Mehdorn Großprojekte in den Griff kriegen kann, bewies er allerdings als Chef der Deutschen Bahn beim Bau des Berliner Hauptbahnhofs. Das milliardenteure Prestigeprojekt wurde im Mai 2006 eröffnet, pünktlich zur Fußball-WM. Die rechtzeitige Fertigstellung gelang, weil Mehdorn früh aufs Tempo drückte und sich rigoros durchsetzte.

Die Ost-West-Bahnsteige am Bahnhof sollten, so die zwischenzeitliche Planung, auf einer Länge von 450 Metern überdacht werden. Im Jahr 2001 ordnete die Bahn die Verkürzung des Dachs auf 320 Meter an, begründet damit, dass andernfalls der Eröffnungstermin nicht zu halten sei, sondern auf frühestens 2008 verschoben werden müsse.

Legendär ist zudem Mehdorns Auseinandersetzung mit dem Architekten Meinhard von Gerkan, dessen Büro auch für den BER verantwortlich war, im vergangenen Mai von der Flughafengesellschaft aber gefeuert und später wegen angeblicher Fehlplanung verklagt wurde. In Gerkans Entwurf für das Untergeschoss des Hauptbahnhofs war eine aufwendige Gewölbekonstruktion vorgesehen. Um Zeit und Kosten zu sparen, setzte sich Mehdorn darüber hinweg und ließ eine Flachdecke bauen. Die Architektenlobby schrie auf, Gerkan verklagte die Bahn und bekam vor Gericht recht.

Mehdorn reagierte mit Unverständnis auf das Urteil. „Wir haben einen Bahnhof bestellt und keine Kathedrale“, sagte er damals. „Dass ein Architekt bestimmen kann, welche Konstruktion der Bauherr und Eigentümer wählen muss, kann doch nur Kopfschütteln auslösen.“

Auch hier setzte sich Mehdorn mit seinem hemdsärmligen Auftreten durch. Bahn und Gerkan einigten sich auf einen Vergleich: Die Bahn zahlte strittige Honorarforderungen als Spende an einen Architekturverein. Die Flachdecke blieb.

Wohl niemand hätte etwas dagegen, wenn Mehdorn mit solchen Methoden den Hauptstadtflughafen schnell fertig bekäme. Schließlich kostet jede weitere Verzögerung Berlin und Brandenburg Geld. Und jede Baustelle droht zu einem Selbstbedienungsladen für die beauftragten Firmen zu werden, wenn ihnen keiner richtig auf die Finger schaut. Das kann Mehdorn.

Aber Mehdorn kann auch anders. Zum Beispiel sparen – koste es, was es wolle. Als Bahnchef hat Mehdorn den Wunsch der schwarz-roten Bundesregierung, das bundeseigene Unternehmen teilweise an die Börse zu bringen, knallhart umgesetzt. Um die Bilanzen für potenzielle Käufer aufzuhübschen, setzte Mehdorn einen rigiden Sparkurs durch, dessen Folgen auch in Berlin und Brandenburg noch zu spüren sind: Die Bahntochter S-Bahn ist vom Normalbetrieb weiterhin weit entfernt. Ursache sind Materialfehler und Mängel bei der Wartung und Prüfung der Waggons. Die S-Bahn hatte drei von sieben Werkstätten geschlossen und die Zahl der Mitarbeiter bei der Wartung reduziert.

Der Börsengang der Deutschen Bahn scheiterte letztlich – aber nicht an der Einsicht der Beteiligten, sondern weil nach der Finanzkrise die Stimmung auf den internationalen Märkten im Keller war. Mehdorn selbst stolperte Anfang 2009 über die Überwachungsaffäre. Die Bahn hatte jahrelang Daten von Zehntausenden Mitarbeitern abgeglichen, mehrere hundert leitende Mitarbeiter wurden überprüft, E-Mails von Mitarbeitern flächendeckend kontrolliert – angeblich zur Korruptionsbekämpfung.

Autoritär kann Mehdorn vor allem dann auftreten, wenn ihm etwas nicht passt. Das ist häufig der Fall

Mehdorn war sich keiner Schuld bewusst. Er habe sich „persönlich nichts Unrechtes vorzuwerfen“, sagte er damals. Als Vorstandsvorsitzender trage er aber selbstverständlich die Hauptverantwortung für die Dinge, die bei der Bahn passierten. Die Opposition fand deutliche Worte: Grünen-Chefin Claudia Roth warf Mehdorn absolutistische Methoden vor.

Zerrüttete Verhältnisse

Autoritär kann Mehdorn vor allem dann auftreten, wenn ihm etwas nicht passt. Das ist häufig der Fall. Klaus Wowereit beschwerte sich 2008 bei den damaligen Bundesministern Wolfgang Tiefensee und Peer Steinbrück (beide SPD) über den Bahnchef, weil dieser eine Kampagne für die Offenhaltung Tempelhofs plante. Drei Jahre zuvor hatte Mehdorn Wowereit mit dem Vorhaben vergrätzt, die Bahnzentrale von Berlin nach Hamburg zu verlagern. Das Verhältnis der beiden ist zerrüttet.

Auch die Gegner von nächtlichen Flügen in Schönefeld dürfen bei dem neuen Flughafenchef nicht auf offene Ohren hoffen. Mehdorn, dessen Tonfall selbst dann forsch und bisweilen pampig ist, wenn die Kameras ausgeschaltet sind, wird die Interessen der Flughafengesellschaft gnadenlos verfechten. Selbst als er kein Bahnchef mehr war, ätzte er noch über die protestierenden Gegner des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart 21, sie seien eine laute Minderheit, die beanspruche, die Volksmeinung zu vertreten.

Warum aber tut er sich den neuen Job als BER-Chef überhaupt an? Mehdorn kennt die sachlichen und politischen Probleme bei den Berliner Flughäfen. Der frühere Chef des Frankfurter Flughafens, Wilhelm Bender, hatte zuvor sogar einen Beraterposten ohne große Verantwortung dankend abgelehnt. Und ausgesorgt dürfte Mehdorn längst haben.

Wer den 70-Jährigen kennt, tippt auf Ehrgeiz als Motiv, das ihn antreibt. Mehdorn will allen beweisen, dass er es packt, das verkorkste Flughafenprojekt erfolgreich zu Ende zu führen. Wenn er die Beschäftigten in der Flughafengesellschaft hinter sich bringt, könnte das gelingen; wenn er ihnen den Rücken freihält, indem er alle öffentliche Kritik auf sich zieht, wird er am Ende vielleicht mit breitem Grinsen sagen können: Ich war der richtige Mann für diesen Job.