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Archiv-Artikel

Stoffwechselaufruhr

CRYSTAL METH Die US-Serie „Breaking Bad“ betrachtet die Welt aus der Perspektive der Psychodrogen und stellt sie damit auf den Kopf

Koks für Arme

Die Droge: Methamphetamin, umgangsprachlich Crystal Meth, ist ein synthetisches Stimulans auf Amphetaminbasis. 1893 erstmals durch den japanischen Chemiker Nagayoshi Nagai synthetisiert, wurde die Substanz 1921 patentiert. In Deutschland wurde sie ab 1938 unter dem Warenzeichen Pervitin gehandelt. Es wurde erst 1988 vom Markt genommen.

Die Wirkung: Crystal Meth unterdrückt Müdigkeit, Hunger und Schmerz. Es verleiht Selbstvertrauen, ein Gefühl von Stärke und Tempo. Das sexuelle Verlangen wird gesteigert, die sexuelle Leistungsfähigkeit sinkt allerdings deutlich. Wegen des Schlafentzugs neigen User zu Persönlichkeitsveränderungen, Psychosen und Paranoia. Meth macht schnell abhängig, sein Besitz ist in Deutschland strafbar.

Die Verbreitung: In den USA wird Methamphetamin als Crystal Meth oder Crank bezeichnet, in Europa als Crystal oder Crystal Speed. In Neuseeland heißt die Droge Pee, in Thailand Yabaa. In Deutschland kursiert der Name Hitler-Speed, weil Methamphetamin zu Beginn des Zweiten Weltkrieges von Wehrmacht- und Luftwaffensoldaten als Panzerschokolade, Stuka-Tablette oder Hermann-Göring-Pille konsumiert wurde.

VON HEIDI SALAVERRÍA

Was für ein Plot. Walter White erfährt, dass er Lungenkrebs im Endstadium hat. Dass sein Leben bald zu Ende sein wird, ist jedoch nicht seine größte Sorge. Walter, Held der US-amerikanischen Serie „Breaking Bad“, plagt vielmehr die Sorge um die Zukunft seiner schwangeren Frau und des behinderten Sohns. Was kann ein unterbezahlter Chemielehrer in solch einer Situation tun? Walter, gespielt von Bryan Cranston, beginnt, Methamphetamin – besser bekannt als Crystal Meth – herzustellen, und führt von nun an eine Doppelexistenz: einerseits als sterbender Familienvater, der sich einer Chemotherapie unterzieht. Andererseits als fatalistischer Drogenalchimist, der den besten Stoff der Gegend produziert und mit dem Verkauf tödlicher Chemie viel Geld verdient.

Was für eine Geschichte. Und was für eine Droge. Methamphetamin, 1893 erstmals in Japan synthetisiert, wird seit neunzig Jahren als Droge gebraucht. Im Zweiten Weltkrieg wurde es als Pervitin millionenfach an deutsche Soldaten ausgegeben, auch im Vietnamkrieg dämpften Soldaten ihre Angst mit dem Stoff. Er gab ihnen das Gefühl, unverwundbar zu sein. Später verbreitete sich Methamphetamin als Dopingmittel im Sport, in seiner gerade erschienenen Autobiographie gesteht auch Tennissuperstar Andre Agassi, in den Neunzigerjahren Crystal Meth genommen zu haben.

In den USA kennt jeder die Droge. Dort spricht man seit Jahren von einer regelrechten Meth-Epidemie. Meth ist billig, die Grundsubstanzen sind rezeptfrei erhältlich und das Ganze relativ einfach zuhause herstellbar. Die ländlichen Gebiete der westlichen USA sind voll von Meth-Küchen, die Gefängnisse voller Abhängiger. Das Koks für Arme bewirkt im Gehirn eine Dopaminausschüttung, die zwölfmal so hoch ist wie die eines Orgasmus und abgeschwächt 20 Stunden anhält. Zum Vergleich: Die Wirkung von Kokain hält etwa eine Stunde an, die von Crack eine Viertelstunde. Ohne zu übertreiben, kann man bei Meth von der gefährlichsten Droge der Welt sprechen.

Chronisch überqualifiziert

Der menschliche Körper hat das Potenzial, diesen Rausch zu fühlen, aber mit seiner Verarbeitung kommt er nicht klar. Die Droge verändert das Gehirn. Die Fähigkeit, ohne Meth Glück zu empfinden, wird außer Kraft gesetzt, in einigen Fällen irreversibel. Hinzu kommt ein rapider körperlicher Verfall. Zynisch gesprochen handelt es sich um eine chemische Überqualifikation des Gehirns: Der Körper ist zu Reaktionen in der Lage, die der Mensch nicht verkraften kann.

So ähnlich geht es auch Walter White, dem Protagonisten in „Breaking Bad“. Denn in der Serie, die seit 2008 mit großem Erfolg im US-Fernsehen ausgestrahlt wird und seit 2009 in Deutschland auf dem Bezahlsender AXN zu sehen ist, geht es nicht nur um chemische Prozesse im engeren Sinn. Walter White ist chronisch überqualifiziert.

Schon vor dem Wissen um seine Krebserkrankung erlebt man ihn als Figur auf Entzug. Ihm fehlen Geld, intellektuelle Auslastung und gesellschaftliche Anerkennung. Der Mann, der einst als Mitglied einer Forschergruppe für den Nobelpreis nominiert war, wird mittlerweile von seinen Chemieschülern ausgelacht. Und Walter ist in seinem Unglück nicht allein: Seine Frau Skyler wollte eigentlich Schriftstellerin werden. Und wäre Walter jr. nicht an Kinderlähmung erkrankt, wäre er der Schwarm aller Mädchen. In allen Charakteren der Serie scheint mehr zu stecken und hinauszuwollen, als der Gesellschaftskörper für sie vorgesehen hat. Alle sind auf Entzug, überfordert von ihrer Überqualifikation.

Nicht erst seit der globalen Wirtschaftskrise bekommt der Mittelstand zu spüren, dass die Zeiten vorbei sind, in denen wenigstens die Hoffnung auf eine bessere Zukunft trösten konnte. Das zeigt die Serie: In quälend langsamem Tempo entfaltet „Breaking Bad“ ein Kammerspiel über das Aushalten und Nicht-mehr-aushalten-Können, ein tägliches Abschminken von Erwartungen, ein stetiges Sich-Üben im Hinnehmen mangelnder Wertschätzung.

Es gibt auf der Welt Schlimmeres als diese Tristesse, fatal an ihr ist allerdings das Missverhältnis zwischen qualifizierter Erwartung und unqualifizierter Realität. Frei nach Adorno betrügt die Gesellschaft ihre Bürger immerzu um das, was sie doch ständig verspricht. Ähnliches tut Crystal Meth: Es zerstört, was es scheinbar erzeugt – Selbstvertrauen, Potenz, Unverwundbarkeit.

Unser Held indes braucht kein Meth, jedenfalls nicht in seinem Körper. Stattdessen scheint die Krebsdiagnose bei ihm eine vergleichbare Wirkung hervorzurufen. Der Serientitel „Breaking Bad“ bedeutet so viel wie aus Konventionen ausbrechen, Aufruhr veranstalten. „Chemie“, sagt Walter White einmal, „ist die Lehre der Verwandlung von Stoffen.“ Und er lebt uns diese Wandlung vor. Zunehmend wird Walter zu einem anderen Menschen. Alsbald wird aus ihm ein verwegener Glatzkopf, der sich Drogenbossen als „Heisenberg“ vorstellt. Einer, der die Elemente tanzen lässt wie ein Gott und für den es keine Grenzen mehr zu geben scheint. Mit dieser Kamikazehaltung verschafft „Heisenberg“ sich in seiner kriminellen Zweitexistenz Respekt. Natürlich ist er auch für die Drogenherstellung hoffnungslos überqualifiziert, aber endlich wird das einmal gewürdigt. Das beste Meth aller Zeiten! „Breaking Bad“ ist auch eine hochkomische Bankrotterklärung an männliche Heldenstereotypen und ihre unversehrbaren Körper.

Aber wer handelt hier überhaupt frei? Süchtig nach Leben, nach Anerkennung und Liebe taumeln die Protagonisten durch eine Gesellschaft, die ihnen nichts schenkt und in der willkürlich die Zugänglichkeit und Bezahlbarkeit von Stoffen festgelegt wird, die über Leben und Tod entscheiden können.

Chemie als Parabel

Es gibt in „Breaking Bad“ keine Moral von der Geschichte. Es werden Übergangssituationen gezeigt, in denen eine Art moralischer Stoffwechsel stattfindet. Lässt sich eine Grenze zwischen Zurechnungsfähigkeit und neurochemischer Determination ziehen? Wo hört das Moralische auf, wo fängt das Amoralische an? Walter kämpft ständig in diesem Zwischenraum.

Chemie wird zur Parabel für nicht steuerbare Veränderungen – körperlicher, persönlicher und gesellschaftlicher Natur. Prozesse finden statt, die Menschen wie Teilchen in einem Gewitter herumschleudern und in denen Moralvorstellungen so stabil sind wie die Aggregatzustände von Wasser. Walter spiegelt die Rationalität eines gesellschaftlichen Systems, das in etwa so empathisch operiert wie das Periodensystem. Nur vorübergehend gewinnt er eine Freiheit, für deren Illusion andere Drogen brauchen. Zugleich verkörpert Walter White das grandiose Scheitern dieses Systems. Der Blick geht nach draußen: Was würden Sie an seiner Stelle tun?