„Ich werde damit keinen Pulitzerpreis gewinnen“

Holger Jenrich schreibt immer wieder Bücher über Borussia Mönchengladbach. Dabei hat ihn sein Onkel Willi damals erstmal ins falsche Trikot gesteckt

„Trotz Netzers Matte und Lienens Lenin-Bärtchen war Borussia immer konservativ“

INTERVIEW: LUTZ DEBUS

taz: Herr Jenrich, in diesen Tagen erscheint von Ihnen ein neues Buch über Borussia Mönchengladbach. Das wievielte von ihnen über diesen Verein?

Holger Jenrich: Da müsste ich nachrechnen: eine Chronik, das Quizbuch, Lexikon, Cartoonband, Kalender, ein Buch über die Rivalität zu den Bayern – es müsste das siebte sein. Aber überlegen Sie mal, was abseits davon noch alles möglich wäre... Ein Ratgeber „Wie ich als Kölner Gladbach-Fan werde“. Ein Kochbuch „Fohlen im Bierteig“ mit Rezepten von Vogts bis Effenberg. „Der Messias“, ein historischer 700-Seiten-Roman im Stile von Noah Gordon über das Wirken Günter Netzers. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Und in Ihrem aktuellen Buch – steht da was neues drin?

Aber ja, das Buch rekapituliert die 40 Jahre, die Borussia Mönchengladbach in der Bundesliga gespielt hat – so etwas gab es in dieser Form noch nicht. Für jede Spielzeit gibt es ein Kapitel. Markus Aretz und ich haben jedem Jahr eine eher feuilletonistische Geschichte hinzugefügt. Etwa über Brüderpaare, verkannte Talente oder zweifelhafte Sangeskünstler. Selbst Menschen, die mit der Geschichte des Clubs gut vertraut sind, werden hoffentlich das eine oder andere Aha-Erlebnis haben und auf ihre Kosten kommen.

Bücher über Fußball schreiben, ist das nicht wie in einem Viersterne-Restaurant eine Currywurst zu bestellen?

Ich ernähre mich seit 20 Jahren vegetarisch. Mit Büchern über Fußball werde ich natürlich keinen Pulitzerpreis gewinnen und auch nicht für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen. Aber mir macht das Spaß. Und es reicht mir, wenn mich Tausende lesen statt Millionen. Wenn ich vom Fußball wirklich mal die Nase voll haben sollte, widme ich mich einfach Büchern zu anderen Themen. Nilpferden zum Beispiel.

Was ist literarisch oder gar poetisch an Fußball?

Literarisch ist Fußball nicht so sehr, poetisch schon. Ich finde, dass eine angeschnittene Flanke oder ein perfekter 25-Meter-Schuss in den Winkel das Herz zeitweise genauso berühren können wie ein vierhebiger Jambus oder einer dieser unglaublichen guten Verse von Sven Regener.

Wie sind Sie Fan von Borussia Mönchengladbach geworden?

Mein Onkel Willi aus dem Sauerland wollte mich nach der Einschulung unbedingt zum Borussia Dortmund-Fan machen. Es gibt ein Foto, da steck ich in schwarz-gelber BVB-Kluft. Mit sieben fand ich den Namen “Mönchengladbach“ einfach besser und das schneeweiße Trikot mit der Raute auf der Brust. Trotz Ruhrgebietssozialisation habe ich mich andersborussig orientiert und bin dabei geblieben. Übrigens war das bei Chiquinho 35 Jahre später auch so. Der war schon auf dem BVB-Mannschaftsfoto zu sehen, ist dann doch noch zu Gladbach gewechselt. Leider war er der erste Brasilianer in der Bundesliga, der den Ball nicht unbedingt zum besten Freund hatte...

St. Pauli den Punkern, Freiburg den Ökopaxen und Gladbach den Linksintellektuellen. Sin das mehr als Stereotypen?

Stereotype stimmen nie. Richtig ist, dass Borussia Mönchengladbach Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger anders war als andere Vereine. Richtig ist auch, dass diese Andersartigkeit einherging mit den politischen Veränderungen in Deutschland. Aber daraus zu schließen, Gladbach sei ein linker Verein gewesen, geht an der Realität vorbei. Trotz Günter Netzers langer Matte und Ewald Lienens Leninbärtchen war die Borussia seitens der Vereinsführung immer konservativ, bieder, katholisch. Wie das halt so ist am Niederrhein.

Gladbach katholisch? Wie kommt denn der Liebe Gott auf den Fußballplatz?

Wie alle anderen auch – durch den Spielertunnel.

Holger Jenrich, Markus Aretz: Borussia Mönchengladbach – 40 Jahre in der Bundesliga; Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2005