Jubiläumsbesuch: Lack liegt in der Luft
Heute vor vier Jahren wurde das Gängeviertel besetzt. Wie fühlt sich ein nachmittäglicher Besuch an, wenn man den politischen Hintergrund ausblendet?
HAMBURG taz | Beinahe habe ich es übersehen, das Gängeviertel, nachdem ich den Aufgang der U-Bahn-Station „Gänsemarkt“ hochgegangen war. Das Areal befindet sich inmitten von gemächlichem Verkehr, Straßenbauarbeiten und Stahl-und-Glas-Gebäudekomplexen. Die alten, maroden Häuser wirken gegenüber den neuen Büropalästen verloren, behaupten sich aber Dank ihrer Freiflächen.
Ich betrachte die alten, rissigen, mit Graffiti besprayten Fassaden und schaue in einen Hinterhof, von wo ich jemanden schweißen hörte. An einer Hauswand ist ein rotes, kreisförmiges Schild mit der weißen Aufschrift „Komm in die Gänge“ angebracht – das Logo der gleichnamigen Initiative. Mir begegnen nicht viele Leute, die wenigen, die ich treffe, wirken beschäftigt, sie tragen Kisten oder werkeln vor einer Fahrradwerkstatt an einigen Zweirädern. Schilder weisen den Weg zu einer Polsterei und zu einem Bildhaueratelier.
„Komm ins Plenum“, hat jemand deutlich sichtbar auf eine Hauswand geschrieben. Ein Wohnmobil-Anhänger und ein altes Feuerwehrauto parken vor dem Eingang zum Innenhof, in dem die Fensterscheiben oft durch Spanplatten oder Bettlaken ersetzt worden sind.
Am 22. August 2009 besetzte die Initiative "Komm in die Gänge" die maroden Gebäude im Gängeviertel mit dem Ziel, die Häuser zu restaurieren und ein selbst verwaltetes, soziales und kreatives Quartier zu schaffen.
Die Initiative erreichte, dass die Stadt den Verkauf des Areals an einen Investor rückabwickelte, eine Nutzungsvereinbarung mit der Initiative schloss und Geld für die Sanierung bereitstellte.
2010 gründete die Initiative eine Genossenschaft. Deren Ziel ist es, spätestens nach Sanierung der Gebäude mit der Stadt einen Erbpachtvertrag abzuschließen. Das Ziel damals: Rund 7.500 Genossenschaftsanteile à 500 Euro sollten gezeichnet werden.
Bis zum Juni 2013 wurden 369 Anteile gezeichnet.
Der Knackpunkt in den andauernden Verhandlungen mit der Stadt ist die Selbstverwaltung, die die Genossenschaft anstrebt.
Einige der an angrenzenden Häuser des Gängeviertels sind an der Straßenseite von einem Baugerüst umstellt, die Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss stehen leer oder sind geschlossen. Lediglich ein Friseursalon hat geöffnet: „Waschen, Schneiden, Rocken. Born to cut straight. Ab 10 Euro“. Der Geruch von Lackfarben liegt in der Luft, und ich höre, wie jemand Sprühdosen schüttelt, als ich einen weiteren Innenhof betrete.
Ein älteres Ehepaar betritt den Hof, schaut sich kurz um und geht nach kurzer Zeit mit gerunzelten Stirnen zurück zur Straße. Das Gängeviertel ist an einem Werktag-Nachmittag wenig attraktiv für Besucher.
In einem Fenster hängt ein schlicht gestaltetes Poster, das für dieses Wochenende eine Reihe von Veranstaltungen anlässlich des vierjährigen Jubiläums der Besetzung des Gängeviertels ankündigt. Es soll wieder voll werden bei den Feierlichkeiten. Vermutlich wird das Gängeviertel erst dann ein einladender Ort.
■ , 23, kommt aus München und besuchte das Gängeviertel diese Woche zum ersten Mal
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