Marmor, Stein und Eisen

Es bricht, bröckelt und rostet in Deutschlands Kronjuwelen, seinen schönen Stadien. Nun willder Verband Fifa die WM-Arenen nachkontrollieren – eine Schmach für das Volk der Bauingenieure

von JAN FEDDERSEN

Als vor zehn Tagen das Heimspiel das 1. FC Kaiserslautern ausfallen musste, da hätte man noch hoffen können, dass es das Gewicht des Schnees gewesen sei. Doch der Befund fiel trostlos aus: Eine stählerne Stützkonstruktion hatte Rost aufgewiesen, die gesamte Architektur des Stadions, das raumschiffgleich über der Stadt thront, schien mürbe.

Jetzt hat der Weltfußballverband Fifa aus Zürich verlauten lassen, alle 15 WM-Stadien müssten einem umfänglichen Check durch Ingenieure unterworfen werden, sonst sei das gesamte Turnier in Gefahr. In Frankfurt am Main regnet es durch das neue Dach, in Nürnberg ist auch nicht alles astrein … Und eben dies muss man sich mal durchs Gemüt gehen lassen: Deutschland, in Erwartung der mächtigsten Selbstdarstellungsshow seit den Olympischen Spielen 1972 in München, leistet sich unter den Augen der Welt Pfusch am Bau. Jenes Land, in dem wahre Kultstätten an materialer Unvergänglichkeit und Solidität errichtet wurden: das Olympiagelände in Berlin, halb Nürnberg, eine Fülle von Brücken und, nicht zuletzt, der Reichstag – eine Architektur der Selbstbehauptung in einem Meer filigraner Vorläufigkeiten, keine Schönheiten wie in Italien oder Frankreich.

Das „Land der Dichter und Denker“ war ja stets vor allem ein Land der Ingenieure und Handwerker, eine Gesellschaft, die sich an DIN-Normen zu orientieren pflegt und der jedes Richtfest, jede Bauabnahme ein, pardon, „innerer Reichsparteitag“ war. Man war nie elegant, hielt Raffinesse für weibisch und im Zweifelsfall den Marsch für eine sinfonische Schenkung, der den Nachfahren der Germanen Takt, Ton und Rhythmus gibt. Egal, denn dafür konnten wir flanschen, bohren, stemmen, feilen, raspeln, verfugen und verlöten.

Vorbei. Marmor, Stein und Eisen brechen offenbar sehr wohl.

Ein Tiefschlag für der Deutschen Selbstbewusstsein als Handwerker und Tüftler, was ja auch an der Dichte von Baumärkten abzulesen ist: Obi und Bauhaus haben mehr Filialen in Deutschland, als es, sagen wir, Läden für Lebensmitteldelikatessen gibt. Das muss zu denken geben, zumal ja der Stromausfall im Münsterländischen offenkundig auch nicht allein auf klimatisches Unglück zurückzuführen ist, sondern auf Pfusch in der öffentlichen Infrastruktur. In den ebenfalls schneegeprüften Niederlanden jedenfalls, dem Münsterland benachbart, knickte kein Mast gleich Billigholz nach einer Borkenkäferplage.

Berliner Haushalte mit guten Verbindungen in die osteuropäischen Länder wissen doch längst: Der deutsche Handwerker ist nicht nur viel teurer als der Wanderarbeiter aus Kiew oder Lemberg – wäre es doch nur das! –, sondern auch schlechter. Eine mies motivierte und mies bezahlte Handwerkertruppe aus Büsum oder Elsterwerda hat es mittlerweile immer mit misstrauischen Kunden zu tun: Können die das, wie es die tollen Elektriker und Maurer und Tapezierer aus Lodz können?

So ist eben Deutschland mediterranisiert worden: Man hält auf Kultur und lobt sich selbst, einen wie André Heller zum WM-Kulturchef bestallt zu haben. Wenn das kein – wenn auch kleiner – kultureller Fortschritt ist!

Deshalb darf man sich freuen: Der Stadion-TÜV aus der Schweiz ist auf dem Weg, Deutschland geht keinen Sonderweg mehr. Weil es sich offenbar vom Perfektionswahn verabschiedet hat. Lauterns Betzenberg? Der architektonische Normalfall: Irgendwas geht immer. Schief.