Einmütiger Landtag: Parlament wählt mehr Demokratie

Alle Bürgerschaftsfraktionen stimmen für Erleichterung von Volksbegehren – und nur die CDU lehnt die Privatisierungsbremse weiter ab.

Henning Scherf privatisiert auch als Bürgermeister a. D. noch munter weiter. Bild: dpa

BREMEN taz | Große Einigkeit herrschte in der bremischen Bürgerschaft, als die Anträge für Mehr Demokratie aufgerufen wurden. In Zukunft sollen Bürgeranträge und Volksentscheide erleichtert werden, die Privatisierung öffentlicher Firmen wie der Gewoba oder des Klinikverbunds können nicht ohne Volksentscheid stattfinden.

Die SPD habe die ersten beiden Punkte noch vor zwei Jahren abgelehnt, freute sich CDU-Fraktionsvorsitzender Thomas Röwekamp. Als er vorschlug, das Volk über die Frage abstimmen zu lassen, ob Bremen wirklich die Schuldenbremse einhalten und ab 2020 auf neue Schulden verzichten soll, fand er sogar bei der Linken Zustimmung.

Danach bröckelte die Einigkeit dann allerdings. „Wenn es die Privatisierungsbremse vor 20 Jahren gegeben hätte, sähe Bremen heute möglicherweise anders aus“, erklärte Kristina Vogt (Linke). „Der Verkauf der SWB, der Bremischen Wohnungsbaugesellschaft oder der Wasserwerke hätte dadurch vielleicht abgewendet werden können.“ Hermann Kuhn (Grüne) hatte da schon angemerkt, beim Engagement der SPD für die „Privatisierungsbremse“ schwinge auch etwas Wiedergutmachungs-Gefühl mit. „Ja, Sozialdemokraten haben Mitte der 1990er Fehler gemacht“, räumte der SPD-Fraktionsvorsitzende Björn Tschöpe ein – und berichtete von katastrophalen Privatisierungsfolgen in Dresden oder Pforzheim.

Mit den folgenden Neuregelungen hat der Landtag gestern die sogenannte Volksgesetzgebung in Bremen erleichtert.

"Bürgeranträge" benötigen fortan nur noch die Unterschrift von 5.000 für den Landtag wahlberechtigten BremerInnen - also ab 16 Jahren. Für die Stadtbürgerschaft reichen bereits 4.000 Unterschriften. Mit einem Bürgerantrag kann ein Thema auf die Tagesordnung der Bürgerschaft gesetzt werden. Elektronische Unterschriften sind möglich.

Verfassungsändernde Volksbegehren werden künftig erzwungen, wenn sie die Unterstützung von zehn Prozent aller zum Landtag Wahlberechtigten finden: Bislang waren 20 Prozent erforderlich. Eine elektronische Zeichnung ist möglich.

Erfolgreich ist ein Volksentscheid, wenn er die Zustimmung von 40 Prozent aller Wahlberechtigten erhält - und die einfache Mehrheit. Bisher mussten mindestens 50 Prozent aller Wahlberechtigten Ja sagen: Zum Vergleich an der Landtagswahl 2011 beteiligten sich 55,5 Prozent der Stimmberechtigten.

Privatisierungsbremse: Der Bürgerschafts-Beschluss, ein Unternehmen, dessen Mehrheitsgesellschafter Bremen ist, zu verkaufen, muss durch ein Referendum bestätigt werden.

Ausnahme: Wenn bereits eine Zweidrittelmehrheit der Bürgerschaft die Privatisierung befürwortet hatte, muss sie nur dann einem Volksentscheid unterworfen werden, wenn fünf Prozent der BremerInnen dies fordern.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Röwekamp, der Henning Scherfs Senat angehörte, verzichtete auf eine rückblickende Bewertung von dessen Privatisierungspolitik. Bei allem Lob der Erleichterung von Volksbegehren konnte er sich zur Zustimmung für eine Volksbefragung bei Privatisierungen nicht durchringen – weshalb Kuhn ihm vorhielt, die vorgeschlagene Regelung nicht verstanden zu haben.

Die gesellschaftspolitische Debatte sei wichtig, fand Kristina Vogt von der Linken, weil im Hintergrund die Frage stehe, ob die Schuldenbremse durch Steuererhöhungen ersetzt werden sollte. Da dies im Bund entschieden würde, müsse es dafür eine bundesweite Volksbefragung geben – die von der CDU strikt abgelehnt wird, die auch gegen die Privatisierungsbremse stimmte. Die Erleichterung von Bürgeranträgen und Volksbegehren wurde dagegen von allen befürwortet.

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