Denkzettel für die Seele

MITTELMASS Mit einem 0:1 gegen Abstiegskandidat FC Augsburg verpasst der HSV den Sprung auf Platz vier der Fußball-Bundesliga. Idol Uwe Seeler ist aus ganz anderen Gründen bedient von seinem Verein

Ob Fußballvereine eine Seele haben, ist eine gute Frage. Falls ja, und wenn diese Seele dann auch noch Menschengestalt annähme, darüber herrscht beim Hamburger SV Konsens, dann könnte kein anderer sie verkörpern als – Achtung, kein Namenswitz! – Uwe Seeler. Wenn es dem HSV schlecht geht, leidet Seeler körperlich. Derzeit aber leidet er weniger mit als an seinem Verein. So sehr, dass er in der vorigen Woche einen Titel abgelehnt hat, den es noch gar nicht gibt.

Wohlmeinende Leute im HSV wollten extra für Seeler den Rang des Ehrenvorsitzenden schaffen. Nun hat der frühere Weltklassestürmer darum gebeten, das bleiben zu lassen, denn er liegt mit seinem Verein über Kreuz. Der hatte den Nachwuchsspieler Levin Öztunali mit einer internen Sperre bis Saisonende bestraft, als er bei Bayer Leverkusen unterschrieb, was man beim HSV als eine Form des Hochverrats empfindet. Das Problem: Er ist Seelers Enkel.

HSV-Boss Carl-Edgar Jarchow reagierte beinahe aufreizend gelassen auf Seelers Verzichtserklärung: „Das haben wir zu akzeptieren“, sagte er. Zugleich lege er „Wert auf die Feststellung, dass Uwe Seeler das größte Aushängeschild des HSV war und ist.“ Will sagen: Seeler kann tun, was er will, er wird die Seele des Vereins bleiben. Mehr Sorgen müsste sich Jarchow machen, dass Seelers talentierter Enkel dem Verein den Rücken kehrt. Denn die Seele einer Mannschaft macht es aus, dass in ihr ein paar Spieler stehen, die die Werte des Vereins quasi mit der Muttermilch aufgesogen haben.

Im Heimspiel gegen den FC Augsburg waren es zweieinhalb Spieler, denen man den Status „Eigengewächs“ zubilligen kann. Der halbe ist Heung Min Son, der zwar aus Korea stammt, aber schon mit 16 ins HSV-Internat kam. Er wird den HSV wohl im Sommer verlassen müssen, um einen möglichst zweistelligen Millionenbetrag in die leere Kasse zu spülen. Gegen Augsburg brachte er seinen gefährlichen Schuss aus so ziemlich allen Lagen zum Einsatz, wenn auch letztlich erfolglos.

„Insgesamt zu brav“

Die beiden anderen rutschten spät in die Mannschaft: Tolgay Arslan sollte den fiebernden Spielmacher Rafael van der Vaart ersetzen – und scheiterte grandios. Maximilian Beister hatte einen kurzen Auftritt: Eingewechselt in der 69. Minute, leistete er sich zunächst eine Schwalbe. Nach elf Minuten schlug er wie ein Rodeo-Pferd nach hinten in den Unterleib von Daniel Baier aus – Arbeitstag beendet. Da lagen die Hamburger schon 72 Minuten lang zurück. Aber sie spielten nicht so, als wollten sie den möglichen Sprung auf Platz vier unbedingt schaffen. Eher seelenlos, oder wie Verteidiger Marcell Jansen es ausdrückte: „Insgesamt zu brav.“ Zu zehnt wurde das nicht besser.

Thorsten Fink ließ hinterher erahnen, warum junge Talente nicht um jeden Preis beim HSV bleiben wollen. „Bei manchen Spielern fehlt natürlich auch einfach die Qualität, um konstante Leistungen zu bringen“, lästerte der HSV-Trainer. Und schob nach: „Noch nicht, manche sind ja noch sehr jung.“

Damit waren die Schuldigen öffentlich gebrandmarkt: Die jüngsten HSVer auf dem Platz neben Innenverteidiger Jeffrey Bruma waren Arslan, Beister und Son. In Richtung Beister setzte Fink noch nach: Er habe ihn nur aufgeboten, weil der Null-Tore-Stürmer Marcus Berg verletzt sei. „Eigentlich hätte Maxi gut mal einen Denkzettel gebrauchen können.“  JAN KAHLCKE