Und erlöse uns von uns selbst

Dem Dschungel entkommen, wird ihnen die Heimat zum neuen Feindesland: Josué Méndez erzählt in „Dias de Santiago“ von den Veteranen des Krieges gegen Drogenbarone und Rebellen. Peru, das kaum ein Kino hat, ist im Weltkino angekommen

VON BERT REBHANDL

Auf den Hügeln im Osten der peruanischen Hauptstadt Lima liegt ein riesiger Friedhof. Endlos reihen sich die Gräber, dazwischen fahren auf staubigen Straßen die Autos. Hier treffen einander die ehemaligen Soldaten der Armee. Nach ihrem Einsatz im Dschungel sind sie nun ins zivile Leben zurückgekehrt. Sie haben Drogenhändler und Rebellen bekämpft, und manchmal haben sie richtig Krieg geführt gegen Einheiten aus Ecuador. Nun sind sie ein wenig ratlos, was sie in der Stadt tun sollen.

Santiago Róman (Pietro Sibille) hat zu dieser Einheit gehört. Auch er fährt zu den Treffen auf dem Friedhof. Aber er hält sich dort ein wenig am Rande. Santiago hat nur gelernt, auf sich selbst aufzupassen. Er hat nicht gelernt, in einer Gemeinschaft zu leben. Während er durch die Straßen von Lima zieht, tagträumt er von Kämpfen. Wenn er bei seinem Bruder am Tisch sitzt, wünscht er sich in den Dschungel zurück. „Dias de Santiago“ von Josué Méndez ist ein Veteranenfilm, der durch mentale Intensität überzeugt. Lima ist Feindesland für Santiago.

Nirgends wird dies deutlicher als in einer Szene, in der er am Nachmittag drei Mädchen zu einem Tanzlokal fährt. Santiago hat mittlerweile begonnen, als Taxifahrer zu arbeiten. Er braucht Geld, um einen Computerkurs zu bezahlen. Das Auto hat er von seinem Kameraden Rata geerbt, der sich erhängt hat. Nun fährt Santiago durch die Straßen von Lima, diese drei Mädchen steigen ein, die er schon im Computerkurs gesehen hat. Sie provozieren ihn, er folgt ihnen in dieses Lokal, in dem die jungen Leute schon am Nachmittag wild feiern. Bei einem Bier in der Ecke sitzend, plant Santiago seinen „Angriff“. Josué Méndez gestaltet diese Sequenz als Höhepunkt der männlichen Projektion von Santiago, der auch hier jemand beschützen möchte und die Unverblümtheit der jungen Leute nicht begreift. Die nonchalante Weise, mit der ihn Andrea bei der Hand nimmt und auf die Tanzfläche führt, ist der Moment, in dem Méndez das Realitätsprinzip und die Erlösungssehnsüchte von Santiago zur Deckung bringt. Er befindet sich dabei aber in einer Fantasiewelt, weit weg von den Sorgen, die seine Frau plagen, oder von dem Elend, in dem seine Familie lebt.

Mit seiner Frau möchte Santiago einen Kühlschrank kaufen. Seine Abfindung aus der Armee reicht aber nicht einmal für eine Anzahlung. Die Ehe zerbricht, zur gleichen Zeit sucht die Ehefrau seines Bruders Santiago auf, um ihn zu einem Mordanschlag zu verführen.

„Dias de Santiago“ ist ein geschlossenes Universum. Es gibt keine realistische Ebene in diesem Film, der noch an den Rändern der Einstellungen von dem zerrütteten Blick des Protagonisten geprägt ist. Sexuelle und ökonomische Frustration gehen ineinander über.

Josué Méndez unternimmt nichts, um die manichäische Weltsicht seiner Hauptfigur, die alle Welt retten will und sich dabei immer tiefer in seine Einsamkeit verliert, durch eine andere Perspektive zu brechen. „Dias de Santiago“ gewinnt aus diesem Psychogramm eine Unmittelbarkeit, die zugleich die Stärke wie die Schwäche des Films ist. Denn wenn den Alptraum von Santiago auch niemand durchleben möchte, ist er doch auch leicht als individuelles Trauma abzutun.

Die komplizierten Verstrickungen, die zum Beispiel in „The Deer Hunter“ zwischen den Vietnamveteranen bestehen bleiben, reduziert Méndez auf einen Tunnelblick. Das ist ein methodischer Unterschied, aber eben auch die Differenz zwischen einer Hollywood-Produktion und einem Film aus einem Land, das kaum ein Kino hat. Auch „Dias de Santiago“ wäre ohne europäische Kofinanzierung nicht zustande gekommen. Mit diesem Protagonisten, der in der Welt nicht ankommt, ist Peru aber auf jeden Fall im Weltkino angekommen.

„Dias de Santiago“. Von Josué Méndez. Mit Pietro Sibille, Milagros Vidal u. a., Peru 2004, 83 Min.