unterm strich
:

Gerne hätten wir die bekannte Kunstkritikerin Ingeborg de Vries kommentieren lassen. Wie im Juni, als sie in unserer Zeitung die Entscheidung des Magistrats von Venedig rügte. Dieser hatte die Aufstellung von Gregor Schneiders sechs Kubikmeter messenden schwarzen Kubus auf dem Markusplatz, seinen Beitrag zur Kunstbiennale, untersagt. Leider hat sich Frau de Vries, die darin Zensur erkannte, in Luft aufgelöst.

Das Problem mit dem explizit an die Kaaba in Mekka gemahnende Kunstwerk unglücklicherweise nicht. Als „Cube Berlin 2006“ sollte es vor dem Hamburger Bahnhof aufgestellt werden. Nun hat Generaldirektor Peter Klaus Schuster das Projekt klugerweise abgesagt – was selbstverständlich als Angriff auf die Freiheit der Kunst und Feigheit vor dem Feind zu geißeln ist, wie gestern in der Tageszeitung Welt geschehen. Nun passt zwar der Kubus vordergründig in die Reihe der labyrinthisch verbauten Räume, mit denen Gregor Schneider berühmt wurde – 2001 gewann er den Goldenen Löwen von Venedig für sein „Totes Haus Ur“ im deutschen Pavillon. Doch der Kubus gibt nichts her. Nur die Assoziation an die Kaaba in Mekka und der ursprüngliche Aufstellungsort verleihen ihm Brisanz und bringen den Künstler, um den es zuletzt doch recht ruhig war, wieder ins Gespräch.

Entgegen allem kritischen Diskursklimbim – Ursprung der Form, Malewitschs Schwarzes Quadrat, terroristische Bedrohung unserer Freiheit – steht der Kubus offensiv für die Disneyfizierung der Welt, das globale Las-Vegas-Syndrom. 1934 bemerkte der Schriftsteller Ernst Jünger: „In demselben Moment, in dem eine Stadt wie Mekka fotografiert werden kann, rückt sie in die koloniale Sphäre.“ Heute schlägt das Imperium anders zu: Mit dem künstlerischen Nachbau Mekkas am Markusplatz von Venedig, der doch eh nur touristischer Themenpark ist, auch wenn die Venezianer das anders sehen mögen. Soll Gregor Schneider seine Kaaba zu Eifelturm, Neuschwanstein & Cheopspyramide gesellen.

Dem ungeachtet gilt die kritische Bewertung von Kunst noch nicht als Verneinung ihrer Freiheit, oder täuscht das?

WBG