CIA-ENTFÜHRUNGEN: OTTO SCHILY HAT DAS UNAKZEPTABLE AKZEPTIERT
: Sonntagsreden und Realpolitik

Vor zwei Jahren hat Otto Schily gesagt: „Wenn wir anfangen, das Folterverbot zu relativieren, landen wir im Mittelalter.“ Er hat diesen Satz sehr ernst gemeint. Dass kein Staat jemals das Recht hat, Gefangene zu foltern, stellt einen Fixpunkt in der kurvenreichen politischen Biografie Schilys dar. Das unzweideutige Nein zur Folter ist ein Credo, das den RAF-Anwalt von 1975 mit dem autoritären Innenminister von 2005 verbindet – eine Überzeugung, die in Schilys Selbstbild nie ins Wanken gekommen ist, allen politischen Kurswechseln zum Trotz.

Wirklich nicht? Heute fragt sich, ob Schily sein Credo ernst gemeint hat – oder ob es sich eher um eine folgenlose Sonntagsrede gehandelt hat. Schily hat offenbar 2004 als erster rot-grüner Minister erfahren, dass die CIA den deutschen Staatsbürger Khaled al-Masri entführt, verschleppt und misshandelt hat. Damals hat Schily, weil die USA es verlangten, aus politischer Opportunität geschwiegen. Denn Schily, der sich sogar mit dem erzreaktionären Justizminister Ashcroft blendend verstand, hatte anders als Bundeskanzler Schröder stets einen guten Draht nach Washington. Und den konnte Rot-Grün doch wegen eines Einzelfalls nicht gefährden.

Das ist die Logik der Realpolitik. Aber auch heute, als Exminister, schweigt Otto Schily noch. Von den CIA-Folterflügen will er nichts gewusst haben. Selbst wenn das stimmt, so ist dies keine Antwort. Denn die Frage lautet, warum die USA, die Schily stets verteidigt hat, die Souveränität Deutschland so krude missachten konnten. Und wie dies künftig verhindert wird.

Dass in Europa Bürger entführt werden, so Schily jetzt, sei „völlig inakzeptabel“. Doch genau das scheint die rot-grüne Regierung anders gesehen zu haben. In ihrem Alltagsgeschäft hat Rot-Grün dieses Inakzeptable akzeptiert. Stets aus wohlerwogenen Gründen, natürlich, und mehr noch: Alles, was bislang vom rot-grünen Regierungspersonal zu den CIA-Flügen und dem Fall al-Masri zu hören ist, ist Abwiegelei und Schönrederei, Abwehr und Verdrängung. STEFAN REINECKE