Billigmedizin erlaubt

WTO ändert die Handelsregeln: In Notfällen dürfen Entwicklungsländer Nachahmer-Medikamente einführen

BERLIN taz ■ HIV/Aids, Malaria oder Tuberkulose werden in Entwicklungsländern allzu oft nicht behandelt. Denn die patentgeschützten Medikamente sind schlicht zu teuer. Das musste auch die Welthandelsorganisation (WTO) einsehen. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte änderte sie am Dienstag eines ihrer grundlegenden Regelwerke, nämlich das „Abkommen über handelsbezogene Rechte an geistigem Eigentum“ (TRIPs). Nun dürfen Entwicklungsländer notfalls billige Nachahmer-Medikamente, so genannte Generika, auch dann importieren, wenn sie damit Patentrechte umgehen.

Das TRIPs-Abkommen verpflichtet die Mitgliedsländer, Patente zu schützen. 2001 ließ die WTO jedoch eine Ausnahme zu: Um „Gefahren für die öffentliche Gesundheit“ abzuwehren, dürfen Regierungen Zwangslizenzen an heimische Unternehmen erteilen, die dann auch patentgeschützte Medikamente nachahmen können. Da viele Entwicklungsländer keine Pharmaindustrie haben, kam 2003 eine Übergangsregelung hinzu, wonach solche unter Zwangslizenzen hergestellten Generika im Notfall auch aus anderen Ländern importiert werden dürfen – etwa aus Indien oder Brasilien.

Diese Klausel wird nun fest ins WTO-Regelwerk aufgenommen. EU-Handelskommissar Peter Mandelson lobte dies als „ersten Beitrag zu einem Entwicklungspaket für die WTO-Ministerkonferenz“, die am 13. Dezember in Hongkong beginnt.

Es ist jedoch sehr fraglich, ob die Entwicklungsländer viel davon haben. Durch die hohen rechtlicher Hürden ist es ihnen bislang in noch keinem einzigen Fall gelungen, diese Ausnahmeregel anzuwenden. Dennoch – oder gerade deshalb – wehrten EU und USA einen Vorschlag der afrikanischen Staaten ab, die Regel zu vereinfachen. Attac bewertet daher die jetzige Entscheidung lediglich als „den Versuch der WTO, ihr Image zu verbessern“.

Die Industrieländer gingen sogar noch weiter, um ihre Pharmaindustrie vor Konkurrenz zu schützen. Sie verpflichteten sich, die Regelung niemals selbst anzuwenden – noch nicht einmal bei einem Notstand wie einer Vogelgrippe-Epidemie. „Pharmaeinkäufer in Entwicklungsländern könnten das System sonst pervertieren und zu Fall bringen“, lautete die Begründung eines Sprechers der EU-Kommission. Man fürchtet, sie könnten billige Generika etwa n die EU weiterverkaufen und damit der hiesigen Pharma-Industrie schaden.

NICOLA LIEBERT

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