Versteckspiele in der Scheinwelt

Lee Tandu bekommt Rassismus zu spüren. Täglich. Mal mehr, mal weniger. Aber viele Menschen wollen das nicht wahr haben

„Papa, warum sagen die so was zu mir?“ Als ich mit sechs Jahren in die Vorschule kam, habe ich meinem Vater diese Frage jeden Tag gestellt. Wir mussten uns oft Beleidigungen wie „Kanake“ oder „Du Neger“ anhören. Sie haben uns tief getroffen. Mit der Zeit wurden die Beschimpfungen weniger. Vielleicht habe ich nicht mehr so sehr darauf geachtet. Jetzt lebe ich dreizehn Jahre in Deutschland. Es kommt mir immer noch so vor, als lebte ich in einer Scheinwelt. Jeden Tag werden Menschen wegen ihrer Herkunft, Religion oder Hautfarbe fertig gemacht. Aber die Mehrheit scheint das zu verdrängen. Ältere Menschen glauben, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit existierten nicht mehr. Aber wenn ich zu meiner Freundin nach Marzahn fahre, geht mir durch den Kopf: Was tue ich, wenn ich wegen meiner Hautfarbe beleidigt oder gar angegriffen würde? Wenn einer alleine kommt, würde ich weggucken und das ignorieren. Aber was ist, wenn mehrere kommen? Ich will nicht ständig mit dem Angstgefühl zu ihr fahren, viel lieber würde ich mir die Gegend angucken oder einfach nur abhängen.

Wenn ich durch Berlin laufe, dann sehe ich fast an jeder Ecke entweder ein italienisches oder indisches Restaurant oder einen Dönermann. Jeder weiß, woher diese Menschen kommen. Trotzdem ist das kein Problem, so lange wir dort essen gehen und sie uns bedienen. Gleichzeitig gibt es viele Urteile gegen über Ausländern, zum Beispiel, dass sie alle Arbeitsplätze wegnehmen, dass sie alles kaputt machen und das Land zerstören. All dies muss man sich als Ausländer wie ich – ich habe noch keinen deutschen Pass – oft anhören, von Deutschen aber auch von ausländischen Deutschen. Viele von uns benutzen Wörter wie Kartoffel, Bin Laden oder Schlitzauge. Es sind Beschimpfungen, die einen verletzen. Manchmal frage ich mich, ob sie überhaupt wissen, was die von ihnen benutzten Beleidigungen eigentlich bedeuten. Warum schaltet die Gesellschaft bei Rassismus ab?

Schlagen ist schneller

Für viele Jugendliche ist es heute nicht viel leichter als für mich vor dreizehn Jahren in der Vorschule. Bei einem Besuch in Chemnitz haben mir Jugendliche, die aus Russland, Türkei, Tunesien und auch Deutschland kommen, erzählt: „Wenn wir ausgehen, haben wir eigentlich immer Probleme, es kommt häufig zu Schlägereien. Die deutschen Jugendlichen, die mit Ausländern befreundet sind, werden als Landesverräter beschimpft, die Türken und Schwarzen als Stressmacher.“ Als ich sie fragte, wie sie sie sich in Chemnitz mit Rassismus auseinandersetzen, kamen erschreckende Antworten. Viele von ihnen waren der Meinung, sie müssten sich mit Gewalt gegen die Faschos wehren. Sie meinten: Reden bringt nicht viel, Schlagen geht schneller, als darauf zu warten, bis Politiker in einer Stadt wie Chemnitz endlich etwas gegen Rassismus tun. Sie haben kein Vertrauen in die Politik. Sie klagen darüber, dass die Nazis ihre Zeitungen ungehindert vor der Schule verteilen können. Sie fragten, was das für eine Gesellschaft ist, die das duldet. Die Frage der Jugendlichen ist: „Wann werden Politiker etwas dagegen tun? Warten sie, bis wir uns alle tot geprügelt haben?“ ILT