Antifa gegen Antifa

Die einen wollen nur reden, die anderen auch mal zuschlagen. Bürgerbündnisse und echte Antifas sind sich oft uneinig, wie man Neonazis Paroli bietet

Aus der Kapuze des schwarzen Pullovers hört man durch ein dunkles Tuch gedämpfte „Nazis raus!“-Rufe. Nebenan rollen fröhliche Blumenkinder auf ihren bunt geschmückten Fahrrädern durch die Stadt. Sie schwärmen von Frieden, ewiger Gerechtigkeit und einer Welt ohne Extremisten. Derweil recherchiert ein Sachbearbeiter zu einem Vortrag seines Chefs. Er lädt sich Fotos über die Rechten und Informationen über die vielen Demonstrationen aus dem Internet herunter, zu denen er allerdings nie selber hingehen würde.

Ja, Verden ist bunt! Eine ganze Stadt setzt sich ein für Demokratie und Toleranz. Die vielen Aktivitäten der Verdener Bürger in diesem Jahr gegen das geplante „Schulungszentrum Heisenhof“ der NPD haben bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Tausende haben ihren Protest auf die Straße getragen – ein Bündnis aus SchülerInnen, RentnerInnen, Geschäftsleuten, Hausfrauen, LehrerInnen und Handwerkern.

Zur Polizeisperre

Eines eint diese bunte Truppe: Keiner duldet die Menschenverachtung der Rechtsextremen in ihrer Stadt. Doch die Einigkeit zeigt schnell Risse. „Wie soll man den Neonazis Paroli bieten?“, lautet die Frage. „Es muss denen doch gezeigt werden, dass sie uns nicht unterdrücken können“, proklamieren die einen, wickeln ihre schwarzen Schals enger und rücken vor in Richtung Polizeisperre. „Aber deshalb gleich auf Krawall machen?“, stöhnen die anderen, lassen alles widerstandslos über sich ergehen und schleppen sich traurig ins nächste Café. Der Ton auf den Sitzungen des Aktionsbündnisses wird gereizter. Die Argumente werden kürzer, springen schneller und schneller hin und her. Papierberge bleiben liegen, Fragen unbeantwortet, notwendige Recherchen werden vergessen. Wo man vorher Informationen bekam, herrscht nun eisige Kälte.

Das Wichtigste, der Kampf gegen die Rechtsextremen, wird zur Nebensache. An seine Stelle tritt der Konflikt zwischen Linken und Bürgerlichen, zwischen Straßenkämpfern und Schreibtischhockern. „Ihr packt das Thema falsch an!“ – „Ihr macht zu viel!“ – „Ihr zu wenig!“ Keiner kommt auf die nahe liegende Idee, dass es vielleicht viele Facetten der Auseinandersetzung mit den Neonazis gibt. Dass den Bürgerlichen möglicherweise die Entschlossenheit des Widerstands fehlt, den Autonomen die Geduld, auf die Macht des Bürgerbündnisses zu vertrauen.

Aug’ in Aug’ mit Nazis

Allein die Frage, wie man sich auf Demonstrationen zu verhalten hat, löst hitzige Debatten aus. Die einen stört, dass sich autonome Antifa und Rechte nach ihrem Geschmack in den Methoden zu sehr ähneln. Die Klage lautet: Aug in Aug stehen sie sich gegenüber, fotografieren den Gegner und forschen ihre komplette Lebensgeschichten für ihre Antifa- und Antiantifaarchive aus. Aber ist es tatsächlich das Gleiche, wenn zwei Ähnliches tun?

Wiederholt wurden Antifaschisten in den zurückliegenden Monaten in Verden von Neonazis angegriffen, gejagt und zusammengeschlagen. Und ist es nicht so, dass nicht der brave Bürger, sondern der aktive Antifaschist bevorzugtes Opfer der Rechten ist? Also jene, die die Kreise der Neonazis nicht nur auf geordneten Großdemonstrationen, sondern auch im Alltag stören. Tag für Tag. Etwa, wenn sie vor den Schulen ihr Propagandamaterial verteilen oder sich auf dem Heisenhof treffen.

Und schon kommt neuer Streit auf. „Muss man denn immer vor Ort sein, den Nazis sofort Paroli bieten und das mit Gewalt?“, fragen die Bedächtigeren. „Warum nicht? Schließlich halten sich die Rechtsextremen auch nicht an unsere Verfassung“, lautet die Antwort von jenen, die der Polizei misstrauen und diese gar der Kumpanei mit den Neonazis beschuldigen. Sie verstehen nicht, warum die Antifaschisten von den Nazis auf Demonstrationen gefilmt werden dürfen, der umgekehrte Fall aber von der Polizei untersagt wird. Dass die Rechten sich dem staatlichen Schutz sicher seien können, während die Linken erst auf dem Boden liegen müssen, bis sie Hilfe von den Uniformierten bekommen.

Was tun, wenn Neonazis Gegendemonstranten angreifen und keine Polizei in der Nähe ist? Natürlich sollten sich Freunde und Bekannte auf die Übeltäter stürzen. Einige ziehen es aber lieber vor, dem Geschehen den Rücken zuwenden. Nicht immer aus Angst um die eigene Unversehrtheit, sie befürchten, mit der Gewalt in Verbindung gebracht zu werden.

Bündnisse gegen Rechtsextremismus sind nicht frei von Generationskonflikten. Die Älteren vermitteln den Jüngeren das Gefühl, als wären sie in ihrer Jugend schon genügend draußen bei Aktionen gewesen und müssten jetzt alles überlegter angehen. Das wirkt vor allem auf die Neulinge abschreckend, die voller Tatendrang stecken und sofort los ziehen wollen.

Bündnisarbeit ist erfolgreich – und schwer. Beständig stellt sich die Frage: Ist es sinnvoll, sich über Nebensächlichkeiten so aufzuregen? Und wo werden vermeintliche Nebensächlichkeiten so bedeutsam, dass das eigentliche Hauptziel in den Hintergrund rückt. So ist es verständlich, dass sich viele in Parolen wie „Ein Baum, ein Strick, ein Nazigenick“ nur schwer wiederfinden können. Das ist dann keine Frage der richtigen Strategie mehr, sondern eine der Achtung vor den Menschen. VL