Hier geblieben!

Berliner SchülerInnen fordern das Bleiberecht. Mit Erfolg, wie das Beispiel der Fritz-Karsen-Schule verdeutlicht

In Deutschland leben mehr als 200.000 Flüchtlinge mit einer so genannten Duldung. Das heißt ihr Aufenthaltsstatus ist unsicher und sie sind mehr oder weniger von Abschiebung bedroht. Jeder Vierte von ihnen, also rund 50.000 sind Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter.

Was bedeutet es, die Schule zu besuchen und immer damit rechnen zu müssen, eines Tages aus Deutschland abgeschoben zu werden? Karen H., 17, Schüler an der Alexander-Puschkin-Oberschule in Berlin hat es erlebt. „Die Angst war immer da, dass ich irgendwann zurück muss. Das Leben war nicht immer einfach. Die 10 Jahre, bevor ich die deutsche Staatsbürgerschaft vor kurzem erhalten habe, waren die angsterfülltesten in meinem Leben“, berichtet er.

Als Karen von Armenien nach Deutschland kam, waren er und seine Familie zunächst in einem Asylbewerberheim untergebracht. Geld war knapp und wollten sie Lebensmittel einkaufen, mussten sie das in bestimmten Geschäften mit Gutscheinen tun, die ihnen vom Sozialamt zugewiesen wurden. „In der Grundschule durfte ich noch nicht mal mit auf Klassenfahrt fahren, weil es mir mit der Duldung nicht erlaubt war, Berlin zu verlassen“, erinnert sich Karen. In seiner Klasse wusste keiner etwas von den Problemen. Das änderte sich, als sie mitbekommen hatte, dass er in sein „Heimatland“ zurückgeschickt werden soll, ihm die Abschiebung droht.

Nachdem sich unter seinen Freunden die erste Empörung gelegt hatte, waren sie fest entschlossen, die Entscheidung der Behörden nicht so einfach hinzunehmen. Sie begannen Protestbriefe zu verfassen und überlegten, wie sie es erreichen könnten, dass Karen weiterhin die Schule in Berlin besuchen kann. Eine Mitschülerin sagt: „Ich glaube, keiner von uns hätte es ertragen, wenn Karen nach Armenien zurück gemusst hätte! Es wäre für uns alle ein Verlust gewesen.“

Karen war von den Aktivitäten seiner Mitschüler sehr gerührt. Er hatte Glück. Schnell zeigte sich, dass sein Fall doch nicht ganz so problematisch war wie viele andere.

Aber auch kompliziertere Fälle müssen nicht wortlos hingenommen werden und können durch das Engagement der SchülerInnen beeinflusst werden. Dies demonstrierte vor gut einem Jahr die Fritz-Karsen-Schule in Berlin. Am 10. August tauchte die Polizei plötzlich in der Klasse 8.3 auf, holte die 13-jährige bosnische Schülerin Tanja R. aus dem Unterricht und brachte sie direkt ins Abschiebegefängnis. Die Empörung ihrer MitschülerInnen und ihrer Klassenlehrerin schlug schnell in Aktivität um. Sie informierten ihre Eltern, schrieben Briefe an den Bezirksstadtrat Wolfgang Schimmang und fragten, ob man so mit Menschen umgehen dürfe. Am 13. August demonstrierten über 100 SchülerInnen der Schule vor dem Rathaus Berlin-Neukölln. Der Bezirksbürgermeister empfing sie und versprach vor laufender Kamera des Senders RBB, sich für den Verbleib von Tanja einzusetzen.

Radiostationen und Zeitungen unterstützen das Anliegen der SchülerInnen. Die ganze Stadt sprach über den Skandal. Auch an Berlins Innensenator Erhard Körting schrieben sie einen Brief und forderten: „Tanja muss bleiben!!!“

Durch die vielen Aktivitäten machten die SchülerInnen den Fall Tanja R. so publik, dass sich sogar Politiker dazu äußerten. Der CDU-Abgeordnete Ulrich Brinsa kritisierte die Vorgehensweise der Berliner Ausländerbehörde in einer Pressemitteilung als „inhuman und völlig unverhältnismäßig“. Am 24. 8. meldete die Berliner Zeitung: „Die 13-jährige Tanja R. und ihre Mutter dürfen vorerst in Berlin bleiben.“

Nicht immer ist der Einsatz von SchülerInnen so erfolgreich. Deshalb wäre eine politische Lösung wünschenswert. Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft so wie die Kampagne „Hier geblieben“ des Grips-Theaters in Berlin fordern schon seit langem ein Bleiberecht für langjährig geduldete Flüchtlinge. Nur so würden Dramen wie die von Karen und Tanja der Vergangenheit angehören. Eine Forderung, die auch der Innenministerkonferenz vorliegt, die am 8. und 9. Dezember 2005 in Karlsruhe tagt. SB/ER

Weitere Informationen unter: www.fritz-karsen.de, www.hier.geblieben.net, www.flüchtlingsrat-berlin.de, www.proasyl.de