„Große Scham“

Wenn Kinder in die rechte Szene rutschen

■  46, ist freiberufliche Journalistin und Filmemacherin für den MDR und andere öffentlich-rechtliche Fernsehsender.

taz: Frau Hempel, „Mütter erzählen“ ist der Untertitel Ihres Buches. War es einfach Mütter, deren Kinder zu Rechtsradikalen wurden, zum Reden zu bewegen?

Claudia Hempel: Nein, ich habe alleine zwei Jahre nach Gesprächspartnern suchen müssen. Die Scham, dass das eigene Kind rechts geworden ist, ist sehr groß. Viele Eltern reden selbst mit dem nahen Umfeld nicht über diese Entwicklung.

Und bei den Gesprächen?

In den Gesprächen schwang immer mit, dass die Mütter sich vorhielten was falsch gemacht zu haben. Nur in einem Gespräch sprach eine Mutter von einem gesellschaftlichen Problem. Sonst wurde die Entwicklung immer als reines Familienproblem gesehen. Diese Gespräche verliefen aber sehr offen, ohne Tabus.

Wollten die Väter nicht reden?

Die einen Väter meinten, das wächst sich aus, die anderen erklärten, ein Gespräch mit einer Journalistin würde ihnen nicht helfen.

Eltern erzählten Ihnen, dass plötzlich Bomberjacken und Springerstiefel da waren?

Kinder wissen ganz genau, was ihre Eltern dulden. Kein Kind tritt offen vor seine Eltern und sagt: Ich bin jetzt übrigens rechtsextrem. Deshalb ist es am Anfang ein großes Versteckspiel – Kinder verstecken es, Eltern verdrängen. So nach dem Motto: Mein Kind doch nicht.

Erschwert diese Sprachlosigkeit die Situation?

In einzelnen Familien wird sich 24 Stunden am Tag mit dem Thema beschäftigt, in anderen wird kaum direkt darüber geredet. Beratungsstellen empfehlen den Eltern, sich klar politisch dagegen zu positionieren und gleichzeitig dem Kind zu signalisieren, dass es trotzdem geliebt wird. Und das ist ein schwerer Spagat. INTERVIEW: ANDREAS SPEIT

Lesung mit Claudia Hempel: „Wenn Kinder rechtsextrem werden“: 18 Uhr, Schulmuseum St. Pauli