Schily redet, Steinmeier redet – und die Fragen bleiben

Der Exinnenminister und der Außenminister geben zu, im Sommer 2004 von der Masri-Entführung erfahren zu haben. Was wissen sie noch?

BERLIN taz ■ Heraufziehende politische Skandale folgen meist einer eigentümlichen Logik. Je mehr Beteiligte auf die bislang erhobenen Vorwürfe Antwort geben, desto größer wird anschließend die Zahl der offenen Fragen. Genau so liegt der Fall jetzt auch in der Affäre um die CIA-Entführung des Deutschen Khaled al-Masri, nachdem zwei der wichtigsten Minister der Schröder-Regierung, Frank-Walter Steinmeier und Otto Schily, zur öffentlichen Stellungnahme gezwungen worden sind. Die alte Regierung ist nicht vom Verdacht befreit, dass sie seit Sommer 2004 eigene Erkenntnisse über illegale Praktiken des US-Geheimdienstes im Anti-Terror-Kampf besaß – was sie bis heute bestreitet.

Den ersten Befreiungsschlag in der Angelegenheit versuchte der frühere Kanzleramtsminister und jetzige Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Dienstagabend – ausgerechnet nach einem Gespräch mit dem tschechischen Ministerpräsidenten, was schon deswegen von Vorteil war, weil keine Journalisten lästige Nachfragen stellen konnten. „Ich habe im Juni 2004 durch ein Anwaltsschreiben, was bei uns im Kanzleramt damals eingegangen ist, von diesem Fall erfahren“, sagte Steinmeier. Dieser „Fall“, das ist die Entführung und mutmaßliche Folterung von Masri durch die CIA in einem afghanischen Spezialgefängnis, was der Minister natürlich nicht so nennen kann; das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren ist noch längst nicht abgeschlossen. Das Kanzleramt habe nach der Information über diesen „Fall“ den Regeln gemäß gehandelt und den Brief an die zuständigen Behörden weitergeleitet. „Insofern sehe ich nicht“, so der Außenminister, „was da liegen geblieben sein soll.“

Da wäre aber zum Beispiel die Frage, ob Steinmeier anschließend den Kanzler oder dessen Außenminister unterrichtet hat. Oder ob Medienberichte stimmen, wonach der BND im Auftrag der Regierung den Masri-Fall überprüfte und zum Ergebnis kam, dass es sich tatsächlich um eine Entführung handelte. Und was die Bundesregierung unternahm, um solche illegalen Aktionen durch die CIA für die Zukunft zu unterbinden. Dazu gibt es einen Tag später auch durch die Merkel-Regierung keine Erklärung. Die Arbeit der Geheimdienste unterliege grundsätzlich der gesetzlichen Pflicht zur Geheimhaltung, sagt Regierungssprecher Ulrich Wilhelm nur. Und auf die Frage, ob Steinmeier mit Schröder über den Masri-Fall geredet habe, gibt ein Sprecher des Auswärtigen Amtes erst nach mehrmaligem Nachbohren die dürre Auskunft: „Das kann ich heute nicht beantworten.“

Den zweiten Befreiungsschlag versuchte Exinnenminister Otto Schily über die Medien. Der Zeit wollte er zwar nicht anvertrauen, ob er vom früheren US-Botschafter in Berlin, Daniel Coats, im Mai 2004 über die Entführung Masris und dessen Freilassung informiert worden war, aber Schily gab andere, aufschlussreiche Sätze zu Protokoll. Er habe als Bundesinnenminister „keinerlei Kenntnis“ über geheime CIA-Flüge oder über angebliche Gefängnisse gehabt. Er habe keine Informationen bekommen, „die mich in die Lage versetzt hätten, dafür zu sorgen, dass einem deutschen Staatsbürger kein Leid geschieht – zu einem Zeitpunkt, wo ich hätte eingreifen können“. Er habe aber, als der Fall al-Masri ruchbar wurde, die amerikanische Seite aufgefordert, den deutschen Ermittlungsbehörden gegenüber klar Auskunft zu geben. Das sei „leider nicht in angemessener Form“ geschehen.

Den Grund für die wohl formulierten Aussagen lieferte den Sprecher des heutigen Innenministers Wolfgang Schäuble ein paar Stunden später. Die Prüfung des Schily-Coats-Treffens habe ergeben, dass es tatsächlich stattgefunden habe, und zwar am 31. Mai 2004. Das war zwei Tage nach der Freilassung al-Masris am 29. Mai, was für eine vermutete unterlassene Hilfeleistung des Innenministers von einiger Relevanz ist. Ansonsten bestehe Schily, so der Schäuble-Sprecher, bis heute auf der von den Amerikanern gewünschten „strengen Vertraulichkeit“ der Information. Aber Schily sei bereit, dem parlamentarischen Kontrollgremium Bericht zu erstatten.

Ob dieser Bericht für die Parlamentarier Neuigkeitswert hätte, ist unklar. Die Berliner Zeitung behauptet, das Geheimdienst-Kontrollgremium sei bereits 2004 über die BND-Ermittlungen im Masri-Fall informiert worden. Das klingt nach einem Ablenkungsmanöver, aber weder für das eine noch für das andere gibt es einen Beweis. Die Mitglieder des Gremiums sind zur Geheimhaltung verpflichtet, daran hält sich sogar ein Transparenz-Fanatiker wie der Grüne Christian Ströbele. JENS KÖNIG

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