Ein Schwenk ins Ungewisse

Die Aussage von US-Außenministerin Rice, kein US-Bediensteter dürfe foltern, kann eine Änderung der US-Politik bedeuten, muss es aber nicht

Der Gefangene wird kopfüber an ein Brett gefesselt, sein Kopf wird mit Alufolie eingewickelt

VON BERND PICKERT

Die UN-Konvention gegen Folter „gilt für US-Bedienstete, wo immer sie sich befinden, ob in den USA oder außerhalb der USA“. Der einfache Satz, den US-Außenministerin Condoleezza Rice gestern bei ihrem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew sagte, könnte einen Schwenk in der Politik der Vereinigten Staaten bedeuten. Könnte – denn auch diese eigentlich klare Aussage enthält viel Interpretationsspielraum. Menschenrechtsorganisationen jedenfalls bleiben skeptisch: „Es könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein, aber es gibt noch zu viele offene Fragen“, sagte Kenneth Roth, der Vorsitzende von Human Rights Watch, gestern gegenüber der taz.

Neu ist, dass die US-Regierung, wenn sie sich an diese Vorgabe hält, womöglich von ihrer bisherigen Position abrücken würde, Regularien und internationale Verpflichtungen der USA seien für ihre Beamten dann nicht bindend, wenn es um den Umgang mit Nicht-US-Bürgern außerhalb US-amerikanischen Territoriums ginge. Diese Grundposition, gemünzt auf CIA-Aktivitäten weltweit im Rahmen des so genannten Kriegs gegen den Terror, gab den Ermittlern im Umgang mit Gefangenen weitgehend freie Hand. Insofern wäre Rice’ Ankündigung tatsächlich ein Schwenk. Nur habe sie das nicht eindeutig gesagt, kritisiert Kenneth Roth: „Sie hat suggeriert, dass sie das meinen würde, aber sie hat es nicht eindeutig gesagt. Und in diesem Stadium der Debatte, nachdem die Regierung so viele juristische Uminterpretationen vorgenommen hat, um die Misshandlung von Gefangenen weiter rechtfertigen zu können, müsste sie sich schon eindeutig äußern.“

An den Praktiken muss sich im Übrigen nicht unbedingt etwas ändern, selbst wenn die US-Interpretation der Antifolterkonvention nun tatsächlich auch für das Verhalten gegenüber Ausländern gelten sollte. Artikel 1 dieses 1987 in Kraft getretenen „UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“ definiert als verbotene Folter jede Handlung, „durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden“. In Gutachten des US-Justizministeriums war jedoch zu lesen, auf die umstrittenen Praktiken der US-Verhörbeamten träfe die Definition des Zufügens „großer“ Schmerzen gar nicht zu – daher könne von Folter nicht die Rede sein.

Insbesondere die sogar niedergelegten Praktiken der CIA zum Erpressen von Aussagen sind in der Diskussion: 1. Am Hemd zerren und schütteln, 2. Ohrfeigen, 3. Schlag mit der offenen Hand in den Magen, 4. Den Gefangenen 40 Stunden oder länger stehen lassen, 5. Den Gefangenen nackt in einer kalten Zelle stehen lassen, 6. „Water Boarding“: Der Gefangene wird kopfüber an einem Brett gefesselt, sein Kopf wird mit Alufolie eingewickelt und ihm wird Wasser ins Gesicht gespritzt, wodurch akute Erstickungsangst entsteht.

Insbesondere gegen das Water Boarding, das er eindeutig für Folter hält, hatte sich in den USA der republikanische US-Senator John McCain ausgesprochen, als er einen Gesetzentwurf in den Senat einbrachte, der den USA die „grausame, unmenschliche oder herabwürdigende Behandlung oder Bestrafung Gefangener“ grundsätzlich verbieten will. Der Entwurf wurde vom Senat zwar mit 90 gegen 9 Stimmen angenommen. Präsident George W. Bush sieht darin allerdings eine Behinderung der US-Einsatzkräfte und hat angekündigt, den Entwurf mit einem Veto zu stoppen. Es wäre das erste Mal seit seinem Amtsantritt, das Bush von seinem Vetorecht Gebrauch macht.

Die Äußerungen der Außenministerin von gestern könnten auch in dieser Debatte einen Schwenk bedeuten. Dann müsste Bush mindestens recht bald erklären, dass er McCains Entwurf doch nicht mit Veto belegen will. Bleibt die US-Regierung hingegen bei ihrer Auffassung, dass die genannten Praktiken keine Folter im Sinne der Konvention darstellen, ändert sich nichts.

Kenneth Roth: „Es könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein, aber es gibt zu viele offene Fragen“

Und es wäre kaum überraschend, wenn Bushs Pressesprecher Scott McClellan schon bei nächster Gelegenheit dem Pressecorps im Weißen Haus erklären würde, dass es sich keineswegs um eine neue oder gar grundsätzlich andere Position der Regierung handele – und dass es insofern keinen Handlungsbedarf des Präsidenten gäbe.

Für die Bewertung wird die Diskussion in den USA in den nächsten Wochen entscheidend sein: Ändern sich die Vorschriften für Verhörbeamte und Wachpersonal der CIA und des Militärs oder nicht? Verschwinden die Praktiken aus den Handbüchern?

Bis dahin scheint die Skepsis Kenneth Roth’ durchaus angebracht.