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Archiv-Artikel

Sisyphosarbeit am Mythos

WELTHALTIGKEIT In seinen Romanen adaptiert Michael Roes gerne antike Mythen, so auch in seinem neuen Roman „Die fünf Farben Schwarz“, in dem er einen Rhetorikprofessor über den Tod sinnieren lässt. Ein Werkstattbesuch

„Durch Mythen möchte ich die Konzentration auf die zentralen Dinge lenken“

Michael Roes

VON ANDREAS RESCH

Von Albert Camus stammt der Satz, man habe sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorzustellen. Ein Diktum, über dessen Sinn Viktor Holz, Protagonist von Michael Roes’ Roman „Die fünf Farben Schwarz“, zu folgendem Urteil gelangt: „Sisyphos ist ein glücklicher Mensch, weil er den Stein rollt, wie er Gedanken wälzt“ – im Gegensatz zu den Göttern, die keinerlei Fragen nach einem Sinn zu stellen brauchen und sich stattdessen an ihrer bloßen Existenz erfreuen können. Holz, von Beruf Rhetorikprofessor, hat selbst eine beachtliche Gedankenlast zu wälzen, müht er sich doch an einem Essay über den Tod.

Michael Roes’ Leidenschaft für antike Mythen macht ihn zu einem ungewöhnlichen Autor. In „Ich weiß nicht mehr die Nacht“ hat er den Phädra-Mythos in eine Kleinstadt im Ruhrgebiet verlegt und erzählt von der Sehnsucht einer alternden Boutiquenbesitzerin nach ihrem Stiefsohn. Der „Weg nach Timimoun“ handelt von einer Orestie in Algerien: Zwei junge Männer durchqueren die Wüste mit dem Ziel, den Tod des Vaters des einen zu rächen.

Verzettelung der Welt

„Dieses Aufgreifen von Mythen“, erzählt Michael Roes in seiner Charlottenburger Wohnung, „ist eine Reaktion auf eine Verzettelung der Welt, auf einen permanenten Informationsüberfluss. Durch die Mythen möchte ich die Konzentration auf die zentralen Dinge lenken.“

In seinem Denken fühlt er sich Theoretikern wie Roland Barthes oder Hans Blumenberg nahe. „Für mich ist Blumenberg ein unterschätzter Denker in der Liga der großen französischen Philosophen.“ Mit seinem Werk „Arbeit am Mythos“ hat Blumenberg gezeigt, dass Mythen nicht als etwas Starres, sondern als etwas Funktional-Wandlungsfähiges gelesen werden müssen. Insofern ist seine Theorie auch eine Art philosophischer Überbau für die Romane von Michael Roes.

Geboren wurde Roes 1960 in Rhede am Niederrhein, aufgewachsen ist er in Bocholt. Nach einem Studium der Psychologie, Germanistik und Philosophie arbeitete er in Berlin und München als Regie- und Dramaturgieassistent. Es folgten Promotion und Forschungsprojekte. Doch ausschließlich in Deutschland zu leben, war ihm zu wenig. Immer wieder zog es ihn in die Ferne, in den Jemen etwa, die USA oder nach Israel.

Die langen Auslandsaufenthalte haben ihn und sein Schreiben geprägt: „Man bekommt die Möglichkeit, Distanz zu gewinnen: Distanz zum Eigenen, das einem so vertraut ist, dass man es erst einmal gar nicht wahrnimmt.“ Gleichzeitig sei Fremdheit natürlich nicht zwangläufig etwas, das einem nur in der Fremde begegne, weniger kulturell denn intellektuell bedingt. „Mir fällt es oft viel schwerer, mit einem Hertha-Fan zu reden, als mit einer Universitätsprofessorin im Jemen.“

Auch die Handlung von Michael Roes’ neuem Roman spielt überwiegend in der Fremde: in der chinesischen Metropole Nanking. Nach einer gescheiterten Ehe reist Holz für eine Gastprofessur, die er letztendlich nie antreten wird, nach China. Er streunt durch die Straßen oder sitzt in seinem schäbigen Hotelzimmer, um an seinem Essay zu feilen. Äußerlich passiert nicht viel, unter der Oberfläche jedoch wird immer klarer, dass sich Holz auf einer Reise in den Tod befindet.

Genealogie des Todes

In „Die fünf Farben Schwarz“ hat Michael Roes einen thematischen Zugang zum Mythos gefunden. Das Buch ist durchzogen von kursiv gesetzten philosophischen Gedanken und Aphorismen. Das alles überschattende Thema ist der Tod, der ganze Roman über weite Strecken eine einzige Genealogie des Todes: „Der Tod zeigt die Welt in dem Augenblick, wo unsere Vorstellung von ihr vom Mythos, von der Verzauberung zur Ernüchterung, zur Geschichte übergeht“, heißt es.

Und irgendwie hat sich dieses Prinzip der wechselweisen Verzauberung und Ernüchterung dem Roman selbst eingeschrieben, der ständig zwischen einem In-der-Narration-Sein und einem Die-Dinge-aus-der-Distanz-Betrachten oszilliert.

Michael Roes sieht sich da in der Tradition eines Thomas Mann oder Hermann Melville, beides Autoren, die immer wieder längere essayistische Passagen in ihre Romane eingeflochten haben. Ein Versuch sei das, „mehr Welthaltigkeit in die Romanform hineinzubekommen“.

Michael Roes: „Die fünf Farben Schwarz“. Matthes & Seitz, Berlin. 24,80 Euro, 570 S.