Ein Punk im Stadttheater

KONZERT Vom Punk zum Theater und zurück und zurück. Schorsch Kamerun spielt im Kleinen Haus Musik, die er aus seinen letzten Theaterjobs gewonnen hat

Wäre ja eigentlich auch mal was für Bremen, eine theatrale Behandlung der Bremer Räterepublik

VON ANDREAS SCHNELL

Wir waren noch fast klein, als Schorsch Kamerun in unser Leben trat. Wir fanden es witzig, als seine Band Die Goldenen Zitronen sang: „Am Tag als Thomas Anders starb“. Modern Talking mochten wir nicht. Und „Für immer Punk“ nach der Melodie der Alphaville’schen Dylan-Bearbeitung „Forever Young“ war ja auch eine prima Hymne für uns desorientierte junge Leute.

Das Konzert im besetzten Haus im Buntentorsteinweg fiel dann leider aus. Zumindest kamen die Zitronen nicht. Naja, dann fand man sie irgendwie auch doof – nicht deshalb. Und ihnen selbst ging es ein bisschen auch so. Zuerst beschimpften sie ihr Publikum. Ließen es Dinge skandieren wie: „Wir sind blöd und trinken mehr Bier!“

Als in Deutschland Asylbewerberheime brannten, ging das dann aber auch nicht mehr. Da veröffentlichten sie ihr Album „Das bisschen Totschlag“ und den Song „80 Millionen Hooligans“. Wenn sie je „Fun-Punk“ gewesen waren, hatten sie den nun endgültig überwunden. Sich über die Szene lustig machen, war geschenkt, aus und vorbei. Dringlicheres stand an. Was auch nicht mehr mit den berühmten drei Akkorden zu sagen war. Sie überwarfen sich gründlich mit ihrer Vergangenheit und blieben sich auf diese Weise treu. Waren es bei den Hooligans noch rumpelige HipHop-Allüren, verleibten sie sich später spröden Jazz, Elektronik, No Wave ein, entwickelten neben ihrer Musik auch ihre Lyrik weiter, ihre Inszenierung als Band, wider den Authentizitätsgedanken, den Anspruch verwirklichen wollend, als Band mehr zu sein als eine Identifikationsmaschine für alte Fans.

Wir waren dann nicht mehr so klein, als wir hörten, Schorsch Kamerun mache nun auch Theater. 2000 inszenierte er Hubert Fichtes „Die Palette“, mit dabei unter anderem Thomas Ebermann – und Jens Rachut von Dackelblut. Verrückt: Punks im Stadttheater! Was er am Theater schätzt, sagte er neulich der Jungen Welt: „Man wird da in Ruhe gelassen. Hierarchien, vertuschtes Vorankommen, Schulstoff sind auch Teile dieses Betriebs, und wenn auf Spielzeitbüchern steht: ‚Wir beschäftigen uns mit dem Kapital‘, stimmt das nicht ganz. Aber wenn man Glück hat, kann man seine Themen im Theater unzensiert zu Kunst machen.“

Seither gibt es bei Kamerun immer beides, und es ist irgendwie eins. Die Goldenen Zitronen bringen alle paar Jahre ein neues Album heraus, regelmäßig gefeiert als neue Exponate einer sympathisch störrischen Haltung mit weiser musikalischer Ausgestaltung, nebenher gingen und gehen ihre Mitglieder anderen Dingen nach, als Solisten oder mit Bands wie Superpunk, Die Sterne, Queen Of Japan. Und am Theater. Nicht nur Schorsch Kamerun übrigens. Auch Ted Gaier und Thomas Wenzel wurden schon auf der Bühne gesichtet, übrigens auch in Bremen. Am intensivsten aber befasst sich eben Kamerun mit dem Theater und wagte sich sogar schon an „richtiges“ Musiktheater. Im Juli 2009 inszenierte er Leonard Bernsteins „Trouble In Tahiti“ an Bayrischen Staatsoper. Aber nicht dass Sie jetzt denken: Naja, arrivierter Gammler ... Im gleichen Jahr brachte er in den Münchner Kammerspielen mit „Konzert zur Revolution“ ein Stück zum 90. Jahrestag der Münchner Räterepublik auf die Bühne (wäre ja eigentlich auch mal was für Bremen, eine theatrale Behandlung der Bremer Räterepublik, ein runder Jahrestag kommt ja immer, die nächste Gelegenheit käme nächstes Jahr zum 95. Jubiläum). Auch im Theater geht es Kamerun nie um l’art pour l’art. Er will „einbrechen in die eingefahrenen Positionen der Hochkultur“, wie er mal in einem Interview sagte.

Dass der Mann nun im Kleinen Haus in Bremen auftritt, ist also kein Wunder, erst recht nicht eingedenk der Verbindungen der neuen Bremer Dramaturgie nach Hamburg. Allerdings kommt er diesmal als Musiker. Mehr oder weniger. Weil sich das eine vom anderen bei ihm eh nicht ganz trennen lässt. Sein neues Album „Der Mensch lässt nach“ setzt sich aus Musik und Texten zusammen, die im Rahmen seiner jüngeren Theaterarbeiten entstanden sind.

Und weiß natürlich selbst, dass er damit näher an Hanns Eisler als an Johnny Rotten oder Joe Strummer ist. Die allesamt an dem alten Widerspruch herumdokterten, der zwischen Politik und Kunst west. „Kunst hat selten Bewegung geschafft, vielleicht begleitet oder mal angeregt“, sagte Kamerun im erwähnten JW-Interview. Er ist ja nicht doof. Aber durchaus anregend.

Was – der flache Übergang sei ausnahmsweise erlaubt – auch für Hans Unstern gilt, wenn auch ganz anders.

■ Freitag, 20 Uhr, Kleines Haus