Prima im Chor

Natürlich haben Sie recht: Eigentlich haben Selig nichts zu suchen in dieser kleinen Kolumne. Die Band wurde schließlich 1992 in Hamburg gegründet. Aber Christian Neander, Gitarrist und musikalischer Kopf, wohnt nicht nur schon seit Beginn der nuller Jahre in Berlin, sondern betreibt in Kreuzberg auch ein Studio. Und weil sich Selig 1999 auflösten und erst 2008 wieder zusammentaten, also als Neander längst hier lebte, sind Selig ja doch irgendwie eine Berliner Band.

„Magma“ ist bereits ihr drittes Album seit der Reunion und stieg nach der Veröffentlichung immerhin bis auf Platz vier der deutschen Charts. Wirklich überraschend ist das nicht, denn seit 2008 holen Selig nach, was sie ursprünglich verpasst hatten: Einst standen sie im toten Winkel zwischen Deutschrock und Hamburger Schule, mittlerweile aber sind solche Distinktionsversuche weitgehend überflüssig geworden und Tocotronic ebenso etabliert wie ein Grönemeyer.

Und Selig, die früher nirgendwo richtig hingehörten, sind plötzlich genau richtig. Ihr Rock ist zwar ein bisschen bräsig, aber doch flott genug, ihre Texte nicht zu profan, aber auch nicht allzu schlau. Aber vor allem, weil Sänger Jan Plewka diese herrlich nölige Stimme besitzt, die nahezu jeden textlichen Ausrutscher mit Lakonie abfedert, verzeiht man ihm Poesie wie aus „Love & Peace“, die auf banale Lebensweisheiten zurückgreift: „Wenn du die Welt nicht verändern kannst, verändere dich selbst“, singt Plewka, „wenn du dich selbst nicht verändern kannst, verändere die Welt.“ Schon klar, aber das lässt sich prima im Chor mit Tausenden anderen grölen: Wenn es um Mainstream-Rock mit Potential zum Stadionevent geht, ist man mit Selig immer noch bestens bedient.

Kein großes Risiko besteht dagegen, dass Diane Weigmann demnächst Fußballstadien füllt. Denn die 39-jährige Berlinerin hatte in den nuller Jahren als ein Viertel der Lemonbabies ihre große Chance auf den Mainstream-Erfolg. Der wollte sich zwar nicht einstellen, aber aus jenen Tagen schleppt Weigmann noch ausreichend Bekanntheit mit sich herum, um ihr neues Album „Kein unbeschriebenes Blatt“ über Crowdfunding vorfinanzieren zu können. Gleich 161 Prozent der ursprünglich avisierten Summe nahm Weigmann bei Pledge Music ein. Deshalb gibt es jetzt ein neues Album mit freundlichen, überaus netten Songs über Ein- und Zweisamkeit, die keinem wehtun, aber vielen aus dem Herzen sprechen. THOMAS WINKLER

■ Selig: „Magma“ (Vertigo Berlin/Universal), live am 22. 3. in der C-Halle

■ Diane Weigmann: „Kein unbeschriebenes Blatt“ (Rotschopf/Indigo), live am 21. 3. im Kesselhaus