„Ich ganz persönlich“

Exkanzler Gerhard Schröder wird Elder Statesman: Per Appell an die Entführer der Susanne Osthoff

Der Anlass gebot eine gewisse Eile – und Gerhard Schröder war gern behilflich, seine Nachfolgerin billigte seinen Einsatz umgehend: Gestern wurde über den arabischsprachigen Fernsehsender al-Dschasira Schröders auf Deutsch vorgetragener Appell übertragen, gerichtet an die Entführer der deutschen Archäologin Susanne Osthoff. Ein auch von CNN und BBC notierter und in Ausschnitten wiederholter Coup über knapp zwei Minuten.

Erstaunlich, das. Denn abgesehen davon, dass noch kein Kanzler dieser Republik so schnell als Elder Statesman Verwendung finden konnte, obendrein so sinnvoll – selbst ein Helmut Schmidt brauchte Muße, ehe er sich nach seiner Ablösung durch Helmut Kohl als Herausgeber der Zeit verpflichtete. Schröder sprach über die Herzensirakerin als eine, die sich „aus Liebe zu den Menschen im Irak selbstlos und aufopferungsvoll“ für das Land engagiert habe. Nur einer wie Schröder konnte diese Geste lancieren – Angela Merkel steht, ob zu Unrecht oder nicht, ja im Verdacht, mit George W. Bushs Demokratiefeldzug zu sympathisieren, also auch mit dem Krieg gegen Saddam Hussein.

Schröder nicht. Er gilt in allen muslimischen Gesellschaften als flügelschwerster Friedensengel des christlichen Westens, sein Wort hat Gewicht eben und besonders noch dort – in seinem Antlitz mag der Orient gern die Züge eines guten Führers erkennen. Insofern war die Ansprache Schröders eine geniale Idee, um die entführte Deutsche freizulösen: Sie signalisiert Goodwill – eine kulturelle Voraussetzung, um herauszufinden, ob hinter dem Verbrechen pur kriminelles Kalkül steckt oder eines, das sich politisch verbrämt.

Der Exkanzler also sprach: „Sie hat den Irak zu ihrer Heimat gewählt. Gerade aus diesen Gründen hat mich die Nachricht von ihrer Entführung besonders erschüttert.“ Und, diesen Satz beifügend: „Erkennen Sie dies an und erweisen Sie Ihrerseits Menschlichkeit und Respekt vor ihrem Leben.“ Not kennt kein Gebot, erst das Fressen, dann die Moral – das ist ja immer richtig, in dieser Situation, in der es darauf ankommt, die Gekidnappte lebend und frei zu wissen, erst recht.

Aber die Sentenz ist trotzdem nicht bar aller Missverständlichkeit: Heißt das, dass eine Gekidnappte, die den Irak nicht als ihre Heimat empfindet, also in deren gesellschaftlichen Netzen weniger aufgeht als die bayerische Archäologin, geringere Erschütterung weckt? Und wäre das Verbrechen weniger gruselig, würde die Entführte (und neben der Deutschen auch ihr Fahrer) charakterlich nicht so „selbstlos und aufopferungsvoll“ für den Irak gearbeitet haben? Schröders Rede liest sich ein wenig, als habe er sagen wollen: „Mensch, die war nun wirklich keine Feindin, die war ganz auf eurer Seite – eine Gutmenschin!“

Nein, das wollen wir nicht allzu gründlich unterstellen. Aber vielleicht dies: Entführung bliebe auch dann eine kriminelle Tat, wenn das Opfer – mit dessen Tötung man stets droht – einen nicht so krassen Fundus an kulturellen Meriten hat sammeln wollen oder können. Schröders Appell („Ich ganz persönlich“) möge gute Wirkung erzielen. JAF