Schily auf freiem Fuß

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Frank-Walter Steinmeier und Otto Schily haben ein Problem. Ihre wortkargen Stellungnahmen in der Affäre um die Entführung von Khaled al-Masri durch die CIA verbessern ihre Lage nicht wirklich – im Gegenteil. Der Druck wächst, die Vorgänge in aller Öffentlichkeit aufzuklären und nicht nur im parlamentarischen Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste zu debattieren. Damit verbunden werden jetzt erste Rücktrittsforderungen laut. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel verlangte die Demission von Steinmeier. „Normalerweise wäre es für einen deutschen Außenminister ein Rücktritts- oder Entlassungsgrund, wenn man die Öffentlichkeit so hinters Licht führt, wie es Herr Steinmeier getan hat“, sagte Niebel der Passauer Neuen Presse. Steinmeier habe seit Sommer 2004 von der Entführung al-Masris gewusst und dennoch bei seinem Antrittsbesuch in Washington dazu geschwiegen.

Niebels Parteichef Guido Westerwelle hielt sich mit Rücktrittsforderungen zurück – und konzentrierte seinen Angriff lieber auf Ex-Innenminister Otto Schily. Dessen Weigerung, die vertraulich erhaltenen Informationen über die CIA-Entführung an die ermittelnde Münchener Staatsanwaltschaft weiterzuleiten (Schily: „Ich bin nicht der Erfüllungsgehilfe der Staatsanwaltschaft“), bezeichnete der FDP-Vorsitzende als „strafbare Handlung“ nach Paragraf 138 des Strafgesetzbuches. „Wenn ein Verbrechen bekannt wird, müssen Sie es anzeigen. Erst recht, wenn Sie eine Amtspflicht haben“, sagte Westerwelle. Diesen Vorwurf bezog er ausdrücklich auch auf Ex-Außenminister Joschka Fischer. Auch in dessen Fall müsse ein Staatsanwalt klären, was dieser nach Bekanntwerden der Verschleppung al-Masris unternommen habe. Aus diesem Grund forderte Westerwelle die Grünen dazu auf, sie sollten Fischer „endlich veranlassen zu berichten, was er weiß und was er nicht weiß“.

Diese Frontalangriffe auf Steinmeier und Schily beförderten in der Spitze der SPD-Bundestagsfraktion den bekannten Reflex, in der Not die Reihen zu schließen. „Nach den bislang öffentlich gemachten Fakten wurde von deutscher Seite völlig richtig gehandelt“, sagte Fraktionsvize Walter Kolbow. Und Olaf Scholz, parlamentarischer Geschäftsführer, schoss Richtung FDP zurück. Die Liberalen müssten sich schon entscheiden, ob sie „polemisieren oder aufklären“ wollten. Interessanterweise wies auch der leitende Münchener Oberstaatsanwalt Christian Schmidt-Sommerfeld Westerwelles Forderung zurück, gegen Schily und Fischer wegen Nichtanzeige eines Verbrechens zu ermitteln. „Nach dem, was wir über die Vorgänge wissen, sehe ich nicht, wie der betreffende Paragraf 138 des Strafgesetzbuches erfüllt sein könnte“, sagte der Staatsanwalt.

Ohnehin ist bislang unklar, was Fischer wann wusste – und was beispielsweise Schily unterließ oder was er möglicherweise doch unternahm. Es gibt Hinweise, die den früheren Innenminister politisch entlasten könnten. So soll Schily bei seinem USA-Besuch im Februar 2005 mit einem schwierigen Auftrag unterwegs gewesen sein, berichten Diplomaten in Washington: Der Minister sollte von CIA-Chef Porter Goss eine offizielle Entschuldigung einholen sowie die Zusicherung der Amerikaner, dass derartige Entführungen deutscher Staatsbürger wie im Falle al-Masris künftig nicht mehr vorkommen. Die rot-grüne Regierung hatte offenbar erwogen, ein solches Versprechen des CIA-Chefs beim Schröder-Bush-Gipfel am 23. Februar in Mainz als deutschen Verhandlungserfolg zu präsentieren. Schily sei bei Goss mit seinem Anliegen jedoch gescheitert. Angesichts dieser Zurückweisung durch die Amerikaner habe man sich in Berlin entschlossen, über Schilys Vorhaben lieber Stillschweigen zu wahren, zumal über das Gespräch mit dem CIA-Chef Vertraulichkeit vereinbart worden war.