Amerikanische Klatsche für Abbas

KLARTEXT US-Präsident fordert vom Palästinenserpräsidenten Verhandlungen ohne Vorbedingungen. Enttäuschung im Westjordanland

AUS JERUSALEM SILKE MERTINS

Selbst die israelischen TV-Moderatoren, die nonstop live über den ersten Besuch von US-Präsident Barack Obama berichten, sind verblüfft. Der Amerikaner, der stets von Israel einen Siedlungsbaustopp verlangt hat, vollzieht in Ramallah im Westjordanland an der Seite von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas eine Wende. Er sagt zwar, er verstehe, dass „die Palästinenser frustriert sind“. Der israelische Siedlungsbau sei weder „konstruktiv“ noch „angemessen“. Er verurteilte ihn aber nicht als illegal. Vor allem aber forderte Obama die Palästinenser auf, nicht auf einem Baustopp zu bestehen, sondern ohne Vorbedingungen mit den Israelis zu verhandeln. „Man kann mit direkten Verhandlungen nicht warten, bis alle Hindernisse aus dem Weg geräumt sind.“ Das entspricht genau der israelischen Position.

Abbas blickte versteinert in die Gesichter der versammelten Journalisten, während Obama immer wieder bei seinen Ausführungen stockte und vorsichtig, als laufe er durch ein verbales Minenfeld, seine Worte abwog. Direkte Verhandlungen seien nötig, gerade um ungeklärte Probleme auf den Tisch zu bringen, betonte er. „Selbst wenn es Felder mit fundamentalen Differenzen zwischen beiden Seiten gibt, selbst wenn die eine Seite etwas tut, was der anderen als fundamentaler Vertrauensbruch erscheint, so müssen wir doch diese Hürden überwinden und versuchen, ein Abkommen zu erreichen“, warb Obama für einen Neustart der Verhandlungen.

Abbas blieb anschließend nur übrig zu wiederholen, dass die Siedlungen illegal seien und die Palästinenser sie ablehnten. „Jeder sieht die Siedlungen als mehr an als nur eine Hürde für eine Zweistaatenlösung“, knurrte er.

Die Palästinenser dürften sich von Obamas Auftritt in Ramallah in ihrer großen Skepsis bestätigt fühlen. Schon vor Obamas Ankunft hatten palästinensische Protestgruppen Zeltlager errichtet, Reifen angezündet, Obama-Plakate abgerissen und mit Schuhen traktiert. Am Morgen waren aus Anlass des Obama-Besuchs fünf Kleinraketen aus dem von der Hamas beherrschten Gazastreifen auf Israel abgefeuert worden. Während der US-Präsident gestern mit Abbas sprach, griffen Demonstranten die palästinensischen Sicherheitskräfte an, riefen Anti-Obama-Slogans und forderten ihn auf, „Palästina zu verlassen“.

Obama versüßte den Palästinensern seine bittere Botschaft zwar mit den Worten: „Die Palästinenser verdienen einen eigenen Staat“ und erkannte auch die Erfolge bei der Terrorbekämpfung und dem Aufbau staatlicher Strukturen an, doch unvergessen ist, dass die Obama-Regierung den palästinensischen Antrag auf Vollmitgliedschaft in der UNO blockierte. Und auch jetzt hat Obama lediglich das vage Versprechen abgegeben, dass man daheim in Washington den Nahostbesuch auswerten und Außenminister John Kerry sich anschließend um Unterstützung für die Konfliktparteien bemühen werde. „Die Passivität der USA zu einer Zeit, in der die Zweistaatenlösung auf dem Spiel steht, ist gefährlich“, so der unabhängige palästinensische Abgeordnete Mustafa Barghuthi.

Symbolisch für das von den Palästinensern beklagte Ungleichgewicht und die tief empfundene Ungerechtigkeit ist allein schon Obamas Besuchsprogramm. Wem der US-Präsident wie viel Zeit widmet, sagt viel aus. Nur insgesamt fünf Stunden des dreitägigen Nahostbesuchs verbringt er auf palästinensischer Seite: am Donnerstag drei Stunden in Ramallah bei Abbas und am Freitag zwei Stunden bei der Besichtigung der Geburtskirche in Bethlehem.

Ob die Israelis diese Bevorzugung zu würdigen wissen, ist ungewiss. Eine Umfrage der israelischen Zeitung Ma’ariw zufolge stehen nur 10 Prozent der Israelis Obama positiv gegenüber. Aber immerhin: „Bibi“ und „Barack“ sprechen sich nun mit Vornamen an. Und Experten für Körpersprache analysierten in der Zeitung Jedioth Ahronot, dass die angespannten Beziehungen zwischen Obama und Netanjahu sich deutlich verbessert hätten. Zumindest temporär.